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VBB und BVG: Berliner ÖPNV heißer als Tiertransporter?

09.07.15 (Allgemein) Autor:Max Yang

Die Temperaturen in Berliner U- und S-Bahn-Zügen sind am vergangenen Wochenende in ungewöhnliche Höhen geklettert. Samstag und Sonntag erreichte die Außentemperatur Werte von rund 36 Grad Celsius. Eigene Messungen unserer Redaktion am frühen Samstagnachmittag ergaben in Zügen der rein unterirdisch verkehrenden U-Bahn-Linien 7 und 8 noch relativ moderate Temperaturen von 30,1°C bzw. 30,4°C. Als problematisch haben sich die überirdisch verkehrenden Linien entpuppt. In einem Zug der Linie U2 wurden 31,9°C gemessen, in der U12 gar 35,5°C. Ein Zug der S-Bahn-Linie 5 wies 36,3°C auf, auf der Ringbahn-Linie 41 waren es 39,0°C, obwohl mehrere dieser S-Bahn-Züge sogar mit ausgeschalteter Innenbeleuchtung verkehrten und damit Unfallgefahr an überdachten dunklen Bahnhöfen wie Westkreuz oder Gesundbrunnen bestand.

Pikant: Die Verordnung (EG) Nr. 1/2005 schreibt in ihrem Anhang I, Kapitel VI, Bestimmung 3.1 für Nutzviehtransporte eine Maximaltemperatur von 30°C vor. Rechnet man die eingeräumte Toleranz hinzu, liegt die harte Temperaturgrenze für Tiertransporte bei 35°C, die in Berliner U- und S-Bahnen an diesem Wochenende nicht nur in Einzelfällen überschritten worden sein dürfte. Nun dürfte die Aufenthaltsdauer in einer überhitzten S- oder U-Bahn meist kürzer sein als ein EU-Tiertransport, doch gerade für ältere oder chronisch kranke Menschen, die vielleicht nicht mehr fahrtüchtig sind und damit im Besonderen auf den ÖPNV angewiesen sind, stellen in der Sonne aufgeheizte Züge ein erhebliches Problem dar.

Dies ist kein reines Berliner Problem, doch haben Hamburg, Stuttgart und München investiert und die neueren Triebzüge verfügen über Klimatisierung. Auch das Großprofilnetz der London Underground wird in Kürze nur noch klimatisierte Züge der neuen Baureihe S aufweisen. Das Kleinprofilnetz soll in den 20er-Jahren eine neue Flotte („New Tube for London“) mit Kühlung erhalten, obwohl Klimatisierung aufgrund der Tiefe und Enge der Tunnel wesentlich schwieriger ist als in Berlin. Die Berliner Verkehrsbetriebe haben hingegen bei der Bestellung neuer Kleinprofil-U-Bahn-Zügen der Baureihe I wieder keine Klimatisierung vorgesehen und Kosten- sowie Umweltüberlegungen hierfür angeführt.

Bei der S-Bahn sollen nach aktuellem Plan die ersten neuen Züge zum 6. November 2020 eingesetzt werden. Seitens der DB heißt es, man bedauere, dass eine Nachrüstung der Bestandsfahrzeuge mit Klimatisierung nicht möglich sei. Zum Vergabeverfahren und der Ausstattung der Neufahrzeuge wollte man sich dort ebenso wie beim VBB nicht äußern. Übrigens war es in den S- und U-Bahnen für einen Samstag in der Hauptreisesaison ungewöhnlich leer, obwohl die unweit der Stationen gelegenen Einkaufszentren gut besucht waren. Nicht wenige dürften das klimatisierte Auto genommen haben.

Auf Seiten der Fahrgastverbände herrscht Meinungsvielfalt zu dem Problem. Frank Böhnke vom Deutschen Bahnkundenverband betont einerseits, dass Fahrzeuge umweltverträglich sein müssen und Allgemeinmaßnahmen wie überdachte Abstellanlagen die sommerliche Aufheizproblematik lindern können. Doch bei neu bestellten ÖPNV-Fahrzeugen müsse es eine Möglichkeit geben, die Innentemperatur so zu senken, dass sie sich wesentlich von der Außentemperatur unterscheidet. Der Senat sei in der Pflicht, Qualitätsstandards zu definieren und gegenüber der BVG durchzusetzen.

Florian Müller, Geschäftsführer des Fahrgastverbands IGEB, hält klimatisierte U-Bahn-Züge hingegen nicht für sinnvoll: „Die Wärme aus den Wagen würde in den U-Bahn-Tunnel abgegeben werden, so dass die Temperatur beim Warten auf dem Bahnsteig deutlich steigt.“ Dass gerade das Kleinprofilnetz in der Peripherie wie auch im Zentrum großteils überirdisch verläuft und sich die Züge aufheizen, wurde nicht zur Kenntnis genommen. Müller weiter: „Selbstverständlich muss in den Wagen eine effektive Lüftung funktionieren, gerne mit einer ausreichenden Zahl von Klappfenstern.“

Doch schon die Bundesbahn-Dieseltriebwagen der BR 628, eine Entwicklung der 1980er-Jahre, verfügen über eine elektrisch angetriebene Druckventilation, die viel effizienter ist als Klappfenster. Das Argument der Aufheizung der Tunnelröhren findet sich ähnlich auch bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die auf die BVG als Fahrzeugbeschaffer verwies und sich nicht zum aktuellen Stand des Ende 2015 erwarteten Anpassungskonzepts Berlin Klimaentwicklung äußern wollte. Eine Anfrage bei der BVG AöR blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Siehe auch: Das ist die (dicke) Berliner Luft, Luft, Luft

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