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Das ist die (dicke) Berliner Luft, Luft, Luft

09.07.15 (Berlin, Kommentar) Autor:Max Yang

Eine Bekannte von mir, die in Berlin-Mitte wohnt, hat sich neulich ein Auto gekauft. Sie ist eine junge Berufsanfängerin mit Hochschulabschluss. Nur warum ein PKW? Überall heißt es doch, das Auto sei out, viel zu teuer und überhaupt eher etwas für Landeier, deren Wohnort nur mit einem Bus alle ein bis zwei Stunden angebunden sei. Der ÖPNV sei viel besser als früher, gerade in Berlin, und für die Feinerschließung in der flachen Hauptstadt reiche ein Fahrrad völlig aus.

Aber was sind die Fakten? Ein Auto ist tatsächlich teuer. Neben Tankkosten müssen auch Versicherung, Steuer und Stellplatz bezahlt werden. Es muss also einen Grund geben, dass sich eine Berufsanfängerin als allererste größere Anschaffung einen PKW gönnt. Vielleicht ist es ja doch der fragwürdige Zustand des ÖPNV? Berlin war eine der ersten Städte in Europa mit einer Untergrundbahn, doch heutzutage haben andere die Innovationsführerschaft übernommen.

Bei den Berliner Verkehrsbetrieben rumpeln immer noch über 50 Jahre alte Triebzüge durch den Untergrund, Türstörungen sind Alltag und im Sommer bekommt man kaum Luft. Man spart auch bei der neulich bestellten Baureihe I – eine Klimatisierung ist, angeblich um Kosten und Energie zu sparen, nicht vorgesehen. Oder will man Überfüllungsproblemen vorbeugen, indem man wohlhabendere Bürger zum PKW treibt? Mit Umweltschutz hat das nichts zu tun. Nicht nur in Athen weiß man, dass blindwütiges Sparen oft eher schadet. Aber bei einigen vermeintlichen Fahrgastvertretern, die Sparwahn und schlechten Komfort verteidigen, ist das noch nicht angekommen.

Vielleicht fährt, gerade bei jungen Frauen, abends auch oft die Angst mit? Das früher übliche Bahnsteigpersonal bei BVG und S-Bahn, das schnell hätte Hilfe rufen können, ist fast überall verschwunden. Übrigens begann das schon einige Zeit vor der „Ausschreibung“ des S-Bahn-Netzes, die sich immer mehr als Farce und politische Gefälligkeitswirtschaft herausstellt. Die Selbstbeweihräucherung rund um die vermeintliche Fahrradstadt Berlin können inzwischen viele auch nicht mehr hören. Viele Radwege sind in einem abschreckenden Zustand. Das einzige, vermeintlich „fahrradfreundliche“ an Berlin ist das faktische Fehlen von Verkehrskontrollen. Nicht wenige Drahtesel sind in einem kaum noch verkehrssicheren Zustand.

Und wenn so mancher Spezialist abends unbeleuchtet über rote Ampeln und Bürgersteige flitzt, ist das keine eigenverantwortliche Selbstgefährdung, denn auch andere Radfahrer und Fußgänger werden durch diesen leider verbreiteten rücksichtslosen Fahrstil belästigt und gefährdet. Mit Verkehrspolitik für Fahrradfahrer hat das organisierte Wegschauen nichts zu tun, zumal auch Missstände wie zugeparkte Radwege und Parken in zweiter Reihe nicht konsequent angegangen werden. Beim Dauerbrenner Fahrraddiebstahl hat man sowieso fast schon aufgegeben. Letztlich gibt es in der Bundeshauptstadt keine zusammenhängende, in sich schlüssige Verkehrspolitik. Stattdessen liegt ein Sammelsurium verschiedener Klientelpolitiken vor. Zum Wohle der Bürger sollte aber nicht bis zum vollständigen Verkehrsinfarkt abgewartet werden.

Siehe auch: VBB und BVG: Berliner ÖPNV heißer als Tiertransporter?

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