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Potentiale nutzen

28.06.21 (Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Die alte Behördenbahn hat gerade in Westdeutschland zwischen 1949 und 1993 mit ihrer Kahlschlagpolitik einen Schaden an der Eisenbahninfrastruktur angerichtet, den zu beheben wohl Generationen dauern dürfte, falls das überhaupt möglich. Die Zahl der Strecken, die auch heute noch erfolgreich betrieben werden könnten, wenn die Bundesbahn sie nicht mit der Holzhammermethode kaputtgemacht hätte, ist wohl kaum zu überblicken.

Dass man jetzt wenige Strecken konkret plant, ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Es gibt bereits zahlreiche Eisenbahnstrecken, die man in den letzten Jahrzehnten erfolgreich reaktiviert hat. Das zeigt, dass sehr wohl Potential vorhanden ist und dass die Menschen auf die Schiene kommen, wenn man ein angemessenes Angebot macht.

Es ist auch richtig, wenn Martin Henke vom VDV eine neue Bewertungsmethodik fordert, die über die klassische Kosten-Nutzen-Berechnung hinausgeht. Allerdings reicht es schon, wenn man hier ehrlich an die Sache herangeht. Wenn man die vollen Kosten einer Reaktivierung berechnet, dann reicht es nicht, auf der anderen Seite den Nutzen den SPNV-Betrieb zu bewerten.

Denn jede zur Reaktivierung anstehende Schieneninfrastruktur hat immer auch das Potential, dass hier Schienengüterverkehr betrieben wird. Welche Unternehmen gibt es entlang der Strecke? Wo war vielleicht früher schon mal ein Gleisanschluss, den man vielleicht wieder benutzen kann? Wie viele Lastwagenfahrten kann man einsparen, wenn zwei Güterzüge am Tag eine Fabrik anfahren? Das gilt es zu berücksichtigen, weil auch das ein Faktor der Lebensqualität vor Ort ist.

Ein anderer Punkt ist allerdings auch zu berücksichtigen: Schafft die Eisenbahnbranche es überhaupt, nennenswerte Leistungsausweitungen zu schultern oder fehlt hier schlichtweg das Personal? Man kann natürlich argumentieren, dass es sich um sehr langfristige Planungen handele und bis das alles aktuell wird, hat man das Thema sicher irgendwie gelöst.

Aber stimmt das? Im Moment hat nur die DB AG einen strukturell überalterten Personalstamm. Aber auch bei den Wettbewerbsbahnen kommt man immer mehr in eine Situation, dass jedes Jahr ein bestimmter Anteil der Mitarbeiter aus Gründen der Demographie das Unternehmen und die Branche Richtung Ruhestand verlässt. Man wird also ohnehin große Mengen neuer Mitarbeiter brauchen, allein um den Status Quo aufrecht zu erhalten.

Bundesweit hat man überall immer wieder die Situation, dass ganze Linien wegen Personalmangel nicht betrieben werden – und das betrifft längst nicht nur das eine oder das andere Unternehmen. Man muss also jetzt erst recht in die Personalakquise investieren. Hier ist die gesamte Branche gefordert, auch die Aufgabenträger.

Warum soll man nicht gemeinsame Ausbildungskurse anbieten, verstärkt in Eisenbahnfahrschulen investieren, die unternehmensübergreifend ausbilden und vieles mehr? Denn wer ernsthaft mehr Verkehr auf der Schiene haben will, der muss zunächst die grundständigen Voraussetzungen schaffen.

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