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Interview mit NVR-Chef Norbert Reinkober (Teil 3): Planungen für die nächsten Jahrzehnte

18.05.12 (go.Rheinland) Autor:Stefan Hennigfeld

Norbert Reinkober (50) ist seit acht Jahren Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Rhein-Sieg (VRS) und steht seit dessen Gründung am 1. Januar 2008 auch dem Zweckverband Nahverkehr Rheinland (NVR) vor. Er ist damit für den Eisenbahnverkehr in einer wachsenden Region zuständig, geprägt von Einpendlern aus dem Umland. Mit dem Eisenbahnjournal Zughalt.de sprach er über die Pläne für den SPNV, den Eisenbahnknoten Köln und die Marktsituation insgesamt. Bereits gestern erschien der zweite Teil.

Welche Regionalbahnen planen Sie bis 2030 auf S-Bahnbetrieb umzustellen?

Als nächstes planen wir eine Umstellung der Linie RB 38. Das ist die Erfttalbahn und die Untersuchungen dazu laufen derzeit in guter Zusammenarbeit mit dem Rhein-Erft-Kreis und den betroffenen Anliegerkommunen. Wir wollen diese Linie in Horrem auf die S-Bahn bringen und ganztägig nach Köln fahren lassen. Davon erhoffen wir uns sowohl ein zusätzliches Verkehrspotential als auch und das ist vorrangig eine Entlastung des Knotens Köln.

Für den Zeitpunkt 2030 gibt es, unter der Voraussetzung des realisierten S-Bahnwestrings, die Durchbindung der beiden Diesellinien Eifelstrecke und Oberbergische Bahn. Dann wird das Konzept vollends umgesetzt und wir werden auf der S-Bahn im 2,5m Zugfolge fahren können. Dazu muss die erste Ankermaßnahme aus der Rahmenvereinbarung von Bahn und Land aus dem Jahr 2010 kommen, sprich die S-Bahnstammstrecke signaltechnisch zu ertüchtigen. Inklusive des Ausbaus am Hauptbahnhof und Köln-Messe/Deutz und des Weiterbaus zwischen Delbrück und Bergisch Gladbach, damit wir auf der Linie S 11 einen Zehn-Minutentakt realisieren können. Wenn das realisiert ist, ist das die Voraussetzung, um weitere Regionalbahnlinien auf die S-Bahn zu verlagern und damit Platz für den Güter- und Fernverkehr zu bekommen. Wir schlagen damit zwei Fliegen mit einer Klatsche bzw. Maßnahme – eine großartige Idee und Konzeption, die übrigens von DB Netz entwickelt wurde.

Ein Zehn-Minutentakt auf der Linie S 11 klingt sehr gut, aber fürchten Sie, dass Sie dort bei der Betriebsfinanzierung Probleme bekommen? Wo soll das Geld auf einmal herkommen?

Wir reden hier über Planungen für die nächsten Jahrzehnte. Im Augenblick wäre ich froh, wenn wir einen abgeschlossenen Landeshaushalt für das laufende Jahr hätten. Dann reden wir über die weitere Entwicklung. Ich kann keine Kaffeesatzleserei betreiben und weiß nicht, wie die wirtschaftliche Entwicklung aussehen wird, auch nicht, wie viele Einwohner Köln und Bonn in zwanzig Jahren haben werden, die Tendenz ist steigend. Wir sind nun mal eine Wachstumsregion.

Planung heißt, sich gut aufzustellen für die Zukunft und dies durch politisches Marketing zu begleiten. Unabhängig von der Frage, ob ich im Jahr 2020 mehr oder weniger Geld für den Betrieb zur Verfügung habe.

Wie sieht es denn kurzfristig auf der Linie RB 38 mit dem geplanten zusätzlichen Bahnsteig in Horrem aus?

Sehr gut. Mit dem Bau wurde begonnen.

Wie soll das Flügelkonzept auf der Linie RB 33 aussehen?

Es wird in Lindern geflügelt, von Aachen kommend geht ein Zugteil nach Heinsberg und einer Richtung Mönchengladbach, wenn die Elektrifizierung fertig wird. Es wird jedoch eine kleine Verzögerung geben, wie lange das dauert, können wir nicht abschätzen.

Sie planen einen Sprinter RE 12 zwischen Köln und Trier. Wie gut wird dieser den Halbknoten Trier erreichen?

Gar nicht. Wir werden stattdessen die Linie RE 22 so führen, dass sie den Halbknoten Trier erreicht und dort schnelle Anschlüsse Richtung Saarbrücken und an die Mosel liefert. Auch hier ist wieder die Infrastrukturproblematik im Knoten Köln ausschlaggebend. Wir hätten gern mehr gewollt, können das aber nicht.

Sie haben Verkehrsplanungen, zum einen speziell den Knoten Köln, zum anderen den Rhein-Ruhr-Express. Befürchten Sie, dass es angesichts dieses massiven Aufkommens zwischen Köln und Bonn auf der Linken Rheinstrecke zu Kapazitätsengpässen kommen wird, gerade auch weil die Züge dann im relativ kleinen Knoten Bonn auf weitere Diesellinien aus Richtung Voreifel treffen werden.

Die Betriebsstabilität ist heute schon sehr problematisch. Selbst wenn ich heute einen kompletten viergleisigen Ausbau zwischen Köln und Bonn hätte, bekäme ich die Züge heute dennoch nicht in den Kölner Hauptbahnhof. Wir müssen deshalb der Reihe nach die Probleme abarbeiten. Das fängt an in Köln selbst und im nächsten Schritt befassen wir uns mit der Frage, was zwischen Köln und Bonn ist. Also erst den Kölner Westring, den brauchen wir für den Güter- Fern- und Regionalverkehr. Mit den Planungen beginnen wir natürlich jetzt schon.

Sie sprechen den Güterverkehr an. Halten Sie es im Nachhinein für einen Fehler, dass man den Knoten Troisdorf ausschließlich für den SPFV ausgebaut hat und nicht im Interesse des Regional- und Güterverkehrs?

Ich bin ja froh, dass wir den derzeitigen Ausbau überhaupt hatten/haben. Die Planungen haben ja nicht mal die Unterführung der Schnellfahrstrecke vorgesehen. Als hier Probleme erkennbar wurden, hat die Landesregierung gehandelt und den jetzigen Status finanziert. Stellen Sie sich vor, Sie hätten heute zwölfmal in der Stunde den SPFV zwischen den Regionalzügen zur Linken Rheinstrecke und zur Siegstrecke.

Und bezogen auf die Ausfahrt aus Köln-Gremberghoven auf die Siegstrecke?

Das wäre eine Voraussetzung, um rein theoretisch mehr Güterverkehr von der Rechten Rheinstrecke auf die Siegstrecke zu bringen. Diese ist jedoch mit dem jetzigen SPNV-Angebot ausgelastet. Sie ist zwischen Köln und Siegen nicht durchgängig zweigleisig. Die eine Maßnahme würde also auch die andere erfordern. Einen zweigleisigen Ausbau der Siegstrecke sehe ich aufgrund der hohen Kosten kurzfristig nicht.

Lassen Sie mich vielleicht zur Siegstrecke auch noch ein paar grundsätzliche Anmerkungen machen: Ein durchgängiger zweigleisiger Ausbau würde ja wenig nutzen, solange man beispielsweise zwischen Eitorf und Herchen einen knapp sieben Kilometer langen Streckenblock hat. Die Sieg-Dill-Bahn wendet aus Siegen / Dillenburg kommend zudem in Au an der Sieg im Streckengleis und fährt ab Wissen durchs Gegengleis, so dass auch hier eine faktische Eingleisigkeit als Betriebshindernis dazukommt. Die hier notwendigen Maßnahmen würden jeden Kostenrahmen sprengen.

Und was sind denn die wichtigen Güterverkehrsachsen? Die Siegstrecke ist es nicht. Die Ruhr-Sieg-Strecke, die nicht von Köln, sondern von Hagen nach Siegen führt, die ist allerdings sehr wichtig. Dort läuft eine bundesweite Untersuchung für einen Gesamtkorridor Köln und weiter bis Basel. Da kommen dann auch die Diskussionen, die in Rheinland-Pfalz geführt werden, ob man neue Trassen durch Deutschland benötigt, mit ins Spiel. Ich halte diese vom Bund in Auftrag gegebene Korridoruntersuchung für absolut richtig und wichtig.

Sehen Sie denn ein drittes bzw. viertes Gleis zwischen Düren und Aachen ähnlich pessimistisch?

Nein. Das muss auf jeden Fall dringend kommen. Hier müssen wir den Gesamtkorridor Aachen – Köln betrachten und sind froh, dass diese Maßnahme im Bundesverkehrswegeplan platziert wurde. Um den vollen Effekt zu erzielen bedarf es dann den weiteren Ausbau in Köln.

Und das gilt auch für die Flughafenanbindung auf der Ost-West-Achse? Die Debatte um die Ausschreibung der Linie RE 9 ist jetzt fünf Jahre her, als es drum ging, diesen über die Flughafenschleife fahren zu lassen und es ging nicht, weil man durch leicht geänderte Ankunfts- und Abfahrtszeiten in Köln alles wieder ruiniert hätte. Aber wie sehen Sie die grundsätzliche Anbindung des Flughafens?

Wir möchten den RE 9 nicht zum Flughafen fahren lassen, denn unseren tagtäglichen mehr als tausend Einpendlern würde das eine Fahrzeitverlängerung von fast zehn Minuten bringen, da es zunächst einen Umweg von sechs Kilometern bedeutet. Zum anderen würde der Halt auch relativ lange dauern, weil dort viele Fahrgäste mit Gepäck ein- und aussteigen. Wir versuchen überall, schnellere Fahrzeiten hinzukriegen, da passt das schlichtweg nicht ins Bild und würde zu Fahrgastverlusten führen.

Dennoch wollen wir den Flughafen auch auf der Ost-West-Achse anbinden, dazu brauchen wir ein neues Konzepte. Es bestünde z.B. die Möglichkeit, die Linie S 12, die ja einmal in der Stunde bis nach Au an der Sieg fährt, hier über die Flughafenschleife fahren zu lassen. Für einen Halt der Linie RE 9 am Flughafen hätten wir hingegen zwischen Au an der Sieg und Troisdorf vier Halte streichen müssen. Das wäre für die vielen von Köln-Einpendlern geprägten Orte völlig inakzeptabel.

Für die Linie RE 9 war der Halt in Köln-Porz zudem einfach wichtiger. Zum einen liegt das daran, dass die Ankunfts- und Abfahrtszeiten in Troisdorf und Köln-Messe/Deutz vorgegeben sind. Auch ohne den Halt in Köln-Porz wäre die Fahrzeit daher nicht schneller geworden. Aufgrund der neuen Fahrzeuge, deren Einsatz ja jetzt absehbar ist, können wir diesen Halt einrichten.

Porz am Rhein ist, unabhängig von der Zugehörigkeit zu Köln, eine Stadt mit über 100.000 Einwohnern, also in der Größenordnung etwa vergleichbar mit Siegen, Koblenz oder Witten. Selbstverständlich ist ein RE-Regelhalt dort völlig gerechtfertigt.

Bei all diesen Konzepten, Untersuchungen und Überlegungen zieht sich doch aber die Infrastrukturproblematik wie ein roter Faden durch. Deshalb ist es so wichtig, dass wir diesen großen Verspätungsherd Köln Hauptbahnhof samt Zulaufstrecken leistungsfähiger machen. Denn dann sind wir auch in der Lage, ganz anders an solche Problemstellungen heranzugehen.

Aber das Stichwort RE 9 ist auch in anderer Hinsicht interessant. Eines unserer Hauptprobleme ist die Fahrzeugindustrie. Wir müssen im Fahrzeugbereich genau so einen Wettbewerb erreichen, wie es ihn zwischen den Verkehrsunternehmen bereits gibt. Das muss bei der Vorbereitung von Ausschreibungen unser Ziel sein. Es geht ja auch gar nicht anders, denn ansonsten gehen die Kosten die Höhe und das Geld, das wir an der Ausschreibung sparen könnten, geht für zu hohe Anschaffungskosten beim Rollmaterial wieder verloren.

Wer zum Händler geht und Fahrzeuge kauft, der zahlt die entsprechenden Preise.

Vollkommen richtig! Wie bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen haben wir auch in der Fahrzeugindustrie sehr wenige Anbieter. Deshalb halte ich es für richtig, dass man sich derzeit europaweit möglichst viele neue Anbieter in den Markt holt. Das muss so sein, ansonsten werden die Kosten explodieren.

Wie sehen Sie die Marktsituation? Haben wir zu wenige Anbieter?

Ja, wir haben hier ein Problem. Auf dem Eisenbahnmarkt kann kein großes Geld verdient werden. Zwar ist das Risiko relativ gering, die Renditen aber ebenso. Sehen wir uns den Markt außerhalb der Eisenbahn an, so ist da sehr viel mehr zu verdienen. Man braucht also ein hohes Know How im öffentlichen Verkehr gepaart mit Investoren, die langfristige und sichere Anlageobjekte suchen, etwa Pensionsfonds. Unternehmen wie Bayer oder Siemens haben höhere Margen als die Verkehrskonzerne.

Es bleibt also der Wettbewerb der Staatseisenbahnen?

Über weite Strecken schon. Wenn die Rahmenbedingungen so bleiben, wie sie sind, werden wir keine weiteren Anbieter bekommen. Wir müssen als Aufgabenträger noch stärker die Zugangshemmnisse für neue Unternehmen abbauen ohne jedoch das unternehmerische Handeln zu behindern. Im Gegenteil, ich fordere die Unternehmen auf, nicht nur unternehmerische Freiheiten einzufordern, sondern dies im tagtäglichen Handeln auch umzusetzen. Was ich aber oft erlebe, ist der Ruf nach stattlichen Risikoabsicherungen.

Ich habe ein großes Interesse mit meinen Kollegen zusammen in einen intensiven Dialog mit den Unternehmen zu treten und anschließend in den Ausschreibungen den entsprechenden unternehmerischen Rahmen zu setzen. Das wird nicht einfach, ist aber unabdingbar, um die Aufgaben der Zukunft zu meistern.

Besondere Herausforderung stellt für uns als Aufgabenträger hierbei die Fahrzeugfinanzierung dar. Hier sind wir in NRW zusammen auf einem guten Weg, ein neues Modell zu entwickeln, was sowohl die Kompetenz der Fahrzeugindustrie, deren fachliche Einbindung über den Lebenszyklus der Fahrzeuge, als auch die zeitlichen Restriktionen der Ausschreibungen unter einen Hut zu bringen. Ich bin guter Hoffnung Ihnen zeitnah das Modell vorstellen zu können.

Sehen Sie die strengen Inhouse-Regelungen der EU-Verordnung 1370/07 da als Problem an? Sie haben zwei kommunale Big Player in Ihrem Verbundgebiet, die schon Expansionen geplant haben: Die Kölner Verkehrsbetriebe mit Westigo und die Stadtwerke Bonn als Eigentümer der Verkehrsbetriebe Westfalen Süd in und um Siegen. Diese Expansionstätigkeiten sind nun nicht mehr möglich, sehen Sie das als Nachteil?

Ja natürlich. Um so mehr Konkurrenten ich im Markt habe, um so besser ist es für uns als Aufgabenträger. Ich möchte an dieser Stelle aber die Unternehmensentscheidungen der Stadtwerke Bonn und der Kölner Verkehrsbetriebe nicht negativ bewerten. Die KVB und SWB mussten sich für Ihren Heimatmarkt entscheiden. Dort sitzen sehr fähige Leute, die ihren Job hervorragend machen. Ich traue den großen Verkehrsunternehmen durchaus zu, erfolgreich im SPNV-Markt zu expandieren. BENEX ist dafür ein exzellentes Beispiel. Das Unternehmen erweitert mit neuen Ansätzen und Ideen das Spektrum im SPNV – weiter so und mehr davon. Das muss man natürlich in jedem Einzelfall akzeptieren, auch wenn man sich in der Gesamtheit etwas anderes wünschen würde.

Herr Reinkober, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Stefan Hennigfeld.

Bild: Holger Klein

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