Die Rolle der Industrie
26.10.15 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Gerade wurde in Nordrhein-Westfalen die bislang größte SPNV-Ausschreibung in der Geschichte der Eisenbahnreform abgeschlossen. Natürlich ist die Vergabe eines solchen Riesennetzes eine Ausnahme und doch, sie kommt immer wieder vor: Sei es als nächstes bei der S-Bahn Rhein-Ruhr oder sei es, wenn man große Netze wie die S-Bahnen in Berlin, München oder Hamburg auf ernsthafte Art und Weise wettbewerblich vergeben will.
Modelle wie sie an Rhein und Ruhr angewandt werden, sind da die richtigen. Eine große Flotte in einem großen Netz, bei dessen Vergabe eine Losbildung obligatorisch ist. Und auch wenn der VDB das Thema bei seiner Halbjahresbilanz ein Stück weit außen vor lässt, ist es seit geraumer Zeit allgemein bekannt, dass gerade im Bereich After-Sales das größte Wachstumspotential für die Fahrzeugindustrie liegt. Warum auch nicht? Je länger der Hersteller für die betriebssichere Vorhaltung der Züge verantwortlich bleibt, desto wartungsfreundlicher werden die dann entstehenden Fahrzeuge. Es gibt einen Unterschied, ob der Hersteller dafür sorgen muss, dass ein Zug auch nach zehn oder zwanzig Jahren noch vernünftig läuft oder ob er darauf spekuliert, dem Betreiber nach Ablauf der relativ kurzen Gewährleistungsfrist so viele Ersatzteile wie möglich zu verkaufen.
Natürlich treten irgendwann Interessenkonflikte zwischen den Parteien auf. Der Verkehrsdienstleister stellt ein Produkt auf die Beine, auf dessen Qualität er nur begrenzt Einfluss hat. Deswegen ist Betreiberwartung bei „konventionellen“ Vergaben auch weiterhin zurecht die Regel. Doch es gibt eben eine ganze Reihe an Netzen, die man nicht so vergeben kann, wie seit Mitte der 90er Jahre üblich. Wir dürfen in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass der Markt noch sehr jung ist und gerade die großen RE-Netze, die S-Bahnen und vieles mehr bislang alle von der Deutschen Bahn als „natürlicher Betreiber“ im Sinne der Ex-Bundesbahn gefahren werden.
Bei näherer Betrachtung stellt sich raus, dass es etwa bei der S-Bahn München gar nicht anders geht und das komplette Scheitern der Ausschreibung bei der Berliner S-Bahn bestätigt selbiges. Okay, in Berlin war und ist es politischer Wille, dass der DB-Konzern, auch als langjähriger Schlechtleister, weiterhin fahren darf. Man will die Beschäftigten schützen und sieht die S-Bahn dort primär als arbeitsmarktpolitisches Instrument. Aber das ist die alte Denkweise. Auch die Bundesbahn ist für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen missbraucht worden.
Also bleiben wir mal einen Moment dabei: Wenn ein Aufgabenträger einen dreißigjährigen Vertrag über Wartung und Instandhaltung mit einem Hersteller vereinbart, dann bedeutet das quasi eine lebenslange Arbeitssicherheit. So langfristige Verträge hat kein Verkehrsunternehmen. Die Bezahlung nach dem Metallertarifvertrag, wie sie bei Herstellern üblich ist, ist für die Mechatroniker deutlich besser. Was wir hier erleben ist etwas anderes: Es geht um politische Machtkämpfe zwischen Aufgabenträgern und Betreibern, um die Frage, wer Zugriff auf das Rollmaterial hat. Und hier emanzipieren sich die Aufgabenträger jetzt.
Siehe auch: VDB zufrieden mit erstem Halbjahr