Auch im Vertrieb ist die Bahnreform unfertig
03.02.14 (Kommentar) Autor:Max Yang
Es knirscht an allen Ecken und Enden in der deutschen Eisenbahnbranche. 20 Jahre nach der Bahnreform 1994 scheint wieder Aufbruchstimmung zu herrschen – ob bei der Fahrzeugfinanzierung oder im Vertrieb. Vorbei sind die Zeiten, in denen unter „Bahn“ schlicht die Bundesbahn oder Reichsbahn zu verstehen war. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Viele Strukturen, die aus Bundesbahnzeiten stammen, werden bis heute kaum in Frage gestellt. Das ist gerade deswegen heikel, weil keiner so genau weiß, ob die DB nun gewinnorientiert oder gemeinwirtschaftlich handeln soll.
Oft überwog in Wahrheit das Erstere, was an sich kein Problem sein muss, während Letzteres als bemühtes Argument gegen eine stärkere Regulierung herhalten musste. So konnte die DB im Alleingang einen rigiden Sparkurs im eigenwirtschaftlichen SPFV mit massiven Kahlschlägen bei Interregio und Intercity durchsetzen. Als das deutsche IR-Netz 2001 vor dem Ende stand, war Connex durchaus interessiert, einige Linien weiterzuführen, wenn Fahrzeuge und Personal übernommen werden könnten. Doch hatte die DB AG kein Interesse daran, das einst vom Steuerzahler finanzierte Rollmaterial der Bundesbahn dem Wettbewerber zu überlassen. Zeitweilig wurden die SPFV-Züge von Connex nicht einmal in DB-Kursbücher aufgenommen, bis ein Anspruch darauf gesetzlich normiert wurde. Man denke auch an den Tarifverband der Bundeseigenen und Nichtbundeseigenen Eisenbahnen (TBNE).
Der in den 1950ern entstandene TBNE sorgt dafür, dass im SPNV durchgehende Tarife aufgestellt werden und Fahrgelder im Hintergrund aufgeteilt werden. Doch wer beim TBNE an einen neutralen Unternehmensverband nach Art der britischen Association of Train Operating Companies (ATOC) denkt, irrt sich. Im TBNE geht bis heute nichts ohne DB Regio, da Stimmparität zwischen bundeseigenen und nichtbundeseigenen Verkehrsunternehmen besteht. Man verweigert sich dort einer Ausweitung auf privaten SPFV und hat auch keine Position zum diskriminierungsfreien Vertrieb, während bei der ATOC ersteres selbstverständlich ist und das „Impartial Retailing“ hoch im Kurs steht, denn die verschiedenen Unternehmen dort sind aufeinander angewiesen und arbeiten mit- statt gegeneinander. Davon profitiert nicht zuletzt mit „Grand Central“ eine britische DB-Tochter mit eigenwirtschaftlichem SPFV. Provisionsasymmetrien gibt es bei der ATOC dank eines einheitlichen Provisionssatzes nicht.
Nichtsdestotrotz straft schon die Existenz des TBNE die Aussage Lügen, die Bahnen könnten wie die Airlines Vertrieb und Tarif komplett allein organisieren. Dies ist schon wegen der vielen Umsteigebeziehungen illusorisch. Der Eisenbahn ist am besten gedient, wenn die Fahrgäste sich als Kunden willkommen fühlen. Dazu bedarf es moderner Strukturen, die nicht mehr vom Bahnkosmos der 1950er mit einer großen Bundesbahn als Sonne in der Mitte ausgehen, sondern auch neue Wettbewerber einbinden. Statt sich über fehlendes WiFi zu beklagen, das mit dem Wettbewerb wahrscheinlich von selbst kommt, darf die Politik auch in Sachen Vertrieb und Tarif regulierend eingreifen.