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VRR: Abellio, DB Regio, die S-Bahn und der Bahnstrom

23.02.12 (VRR) Autor:Stefan Hennigfeld

Es war ohne Frage eine der spannendsten Vergaben seit langer Zeit: Die Ausschreibung der Linien S 5 und S 8 im VRR, lange Zeit stand es Spitz auf Knopf, ob nun DB Regio oder Abellio Rail den Zuschlag für die Düsseldorfer Ost-West-S-Bahn erhält. Jetzt steht fest, die Züge zwischen Dortmund, Hagen, Düsseldorf und Mönchengladbach bleiben rot und werden nicht schwarz-silber. Aber warum?

Die Vergabe war deshalb so spannend, weil am Ende alles an den Kommunalkreditkonditionen hing. Dadurch, dass Abellio das VRR-Finanzierungsmodell in Anspruch nehmen wollte, die Deutsche Bahn jedoch nicht, konnte erst mit der endgültigen Zuschlagserteilung entschieden werden, wessen Angebot zum Zuge kommt. Aber da ist noch eine andere Sache: Der Bahnstrom. Hier zahlt Abellio mehr als DB Regio.

Hintergrund sind Rabattregelungen, von denen DB Regio profitiert. DB Energie vergibt Mengenrabatte auf Bahnstrom, bei denen die EVU innerhalb des DB-Konzerns selbstverständlich die höchste Rabattstufe erreichen, die die Privatbahnen selbst dann nicht erzielen könnten, wenn alle in Deutschland tätigen nicht zum DB-Konzern gehörenden EVU als Einkaufsgenossenschaft auftreten würden.

Rabatte sind bei Energieversorgern durchaus üblich. So erhält beispielsweise ein großer Industriebetrieb bis zu vierzig Prozent günstigere Strompreise als ein kleiner Gewerbekunde. Auch eine vierköpfige Familie zahlt bei den Stadtwerken weniger pro Kilowattstunde als ein Junggeselle. Allerdings ist die Bahnstromversorgung eine Annexleistung zur Eisenbahninfrastruktur. Als Eisenbahninfrastrukturunternehmen dürfte DB Energie solche Rabatte nicht geben – als Energieversorger dürfte das Unternehmen keine eisenbahnrechtlichen Zuwendungen von der öffentlichen Hand bekommen.

Heinrich Brüggemann, Chef der DB Regio NRW, erklärt hierzu: „Anlagen zur Bahnstromversorgung werden als Eisenbahninfrastruktur durch den Bund gefördert. Die Bahnstromlieferung ist naturgemäß keine Eisenbahninfrastruktur. Sie ist demzufolge auch keine Annexleistung. Nach dem Energiewirtschaftsgesetz, unter das auch der Bahnstrom fällt, unterliegt ausschließlich der Netzbetrieb der Regulierung, während für die Stromlieferung Wettbewerb gelten soll und das schließt selbstverständlich auch die Gewährung von Rabatten mit ein.“

Für Abellio-Geschäftsführer Bernard Kemper ist das ein ganz klarer Fall von Diskriminierung: „Wenn Abellio einen höheren Preis für die Infrastrukturnutzung zahlen muss – und die Bahnstromversorgung ist Teil der Eisenbahninfrastruktur – dann schlägt sich das auch auf unseren Angebotspreis nieder, denn hier ist in der Kalkulation ein Kostenposten, bei dem wir für dieselbe Ware mehr Geld bezahlen müssen als unser Wettbewerber DB Regio.“

Dabei lässt gerade die Schienenlobby keine Gelegenheit aus, auf den hohen ökologischen Nutzen der Eisenbahn hinzuweisen. In der Debatte um Elektromobilität etwa wird regelmäßig gefordert, die über hundertjährige Erfahrung, die die Eisenbahn damit hat, auch im Straßenverkehr zu nutzen. Aber dazu gehören auch Fahrzeuge mit einem möglichst niedrigen Energiebedarf. Kemper: „Je geringer der Strombedarf eines Fahrzeuges ist, desto höher sind die Einkaufspreise für das Rollmaterial; denn Forschung und Innovation müssen bezahlt werden. Weil DB Regio mit einem geringeren Preis pro Kilowattstunde aus der Oberleitung rechnen kann, ist es dort leichter, in energieeffiziente Fahrzeuge zu investieren – es lohnt sich schneller.

Auf der anderen Seite sind die Entgelte für wieder in die Oberleitung eingespeiste Bremsenergie viel geringer als die Kosten für aus der Oberleitung herausgezogenen Strom. „Hier werden falsche Anreize gesetzt. Bremsenergierückgewinnung ist eine ökologisch sinnvolle Einrichtung,“ erklärt Bernard Kemper. „Dabei muss jedoch sichergestellt werden, dass richtige Anreize gesetzt werden. Unsere 17 Elektrotriebzüge vom Typ Stadler Flirt können Bremsenergie zurückspeisen, dafür vergütet uns DB Energie aber pro Kilowattstunde nur 44 Prozent dessen, was sie uns für aus der Oberleitung herausgezogenen Bahnstrom berechnet. Hier liegt etwas im argen. Bedingt durch diese Berechnung wird wiederum einseitig die Deutsche Bahn bevorteilt, die noch immer über weite Strecken einen stark veralteten Fuhrpark aus den Beständen der Deutschen Bundesbahn hat. Diese Investitionsgüter wurden der DB AG bei ihrer Gründung geschenkt, die Finanzierungen dafür hat das Bundeseisenbahnvermögen übernommen. Hier gibt es also eine doppelte Diskriminierung.“

Für die Ausschreibung der Linien S 5 und S 8 bedeutet das, dass Abellio Rail den Zuschlag bekommen hätte, hätten sie nicht höhere Kosten für den Bahnstrom. Kemper: „Gerade wenn zwei Angebote für Zugleistungen in elektrischer Traktion so extrem nah beieinander liegen, ist die Bahnstromdiskriminierung durch DB Energie ausschlaggebend. Hier hat die Konzernschwester DB Energie dafür gesorgt, dass DB Regio einen Auftrag erhält. Das widerspricht dem Geist der Bahnreform und ist Teil eines laufenden Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Union gegen die Bundesrepublik Deutschland, weil hier die Regelungen der ersten Eisenbahnpaktes missachtet werden. In dieser Sache hat Bahnchef Rüdiger Grube bereits vor einigen Monaten öffentlich gefordert, als Konsequenz aus der Rechtswidrigkeit der DB-Konzernstruktur die europäischen Eisenbahnrichtlinien zu ändern.“

Das sieht Heinrich Brüggemann anders: „Wir bekommen den Bahnstrom nicht billiger, weil wir DB Regio sind, sondern wir erzielen dank unseres Leistungsvolumens die höchsten Abnahmemengen. Das Grundprinzip des Bahnstrompreissystems, das übrigens auch vom Oberlandesgericht Frankfurt für rechtmäßig befunden worden ist, ist dass Preise und Rabatte kostenbasiert sind. Große Abnahmemengen ermöglichen eine kostengünstige Beschaffung über lange Zeiträume, was zu niedrigen Beschaffungskosten für alle Kunden führt. Davon profitieren auch die Eisenbahnverkehrsunternehmen mit kleineren Abnahmemengen. Auch bei der Vergütung von Bahnstrom beim Bremsen gilt das Kostenprinzip. Die Rückspeisevergütung entspricht den vermiedenen Beschaffungskosten. Denn bestimmte Aufwendungen wie die Fixkosten aus der Vorhaltung der Bahnstrominfrastruktur oder Vertriebs- und Abrechnungskosten fallen unabhängig von dem zurückgespeisten Strom an und können infolgedessen auch nicht erstattet werden. Im Übrigen gilt für Ausschreibungen in der Regel, dass alle Bieter mit neuem Wagenmaterial antreten, so dass die Rückspeisevergütung mitnichten wettbewerbsrelevant ist.“

Zudem weist Heinrich Brüggemann darauf hin, dass es zahlreiche Faktoren gibt, die bei der Angebotserstellung eine Rolle spielen, so etwa auch die Personalkosten. „Wir sind einer der größten Ausbilder Deutschlands und geben vielen Jugendlichen, die aus der Schule kommen eine langfristige berufliche Perspektive. Wir unterstützen auch Studienabsolventen um uns die besten Köpfe für morgen zu sichern. Auch Schulabbrecher können im Rahmen zahlreicher Programme, das bekannteste dürfte Chance Plus sein, bei uns ins Leben finden. Das alles kostet Geld.“

Heinrich Brüggemann verweist darauf, dass zahlreiche Privatbahnen, so auch Abellio, bei ihrer Personalrekrutierung gern auf frühere DB-Mitarbeiter zurückgreifen. „Ohne Eisenbahner im Betriebsdienst, die bei uns ihren Beruf gelernt haben, wären viele Privatbahnen längst in existentiellen Problemen. Hohe Sozial- und Ausbildungsstandards sind für uns Teil unserer gesellschaftlichen Verantwortung – doch auch diese muss finanziert werden.“

Für Heinrich Brüggemann gehört es zu den Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft, dass Ausbildung primär Sache der Wirtschaftsunternehmen selbst ist. „Natürlich gibt es auch fremdfinanzierte Ausbildungen für Menschen aus anderen Berufen, auch bei uns. Auch wir helfen Menschen dabei, aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen und kooperieren mit vielen örtlichen Arbeitsämtern. Auch das Berufsförderungswerk der Bundeswehr und zahllose Transfergesellschaften sind seit langer Zeit unsere Partner, auf die wir uns verlassen können. Doch den Löwenanteil der Ausbildung finanzieren wir – anders als viele Wettbewerber – selbst.“

Beim VRR kennt man die Situation. Sprecher Johannes Bachteler: „Die Kontroverse um den Bahnstrom ist eine der spannendsten Debatten der ganzen Branche. Uns fehlt die direkte Möglichkeit Einfluss zu nehmen, da wir als Aufgabenträger kein direktes Vertragsverhältnis zu den Infrastruktur- und Energiepartnern unserer Verkehrsunternehmen haben. Da wir uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln für einen gerechten und funktionierenden Wettbewerb einsetzen, prüfen wir derzeit, wie dieses Thema „gerechter“ in Ausschreibungsverfahren behandelt werden kann. In Bezug auf die Ausbildung und Qualifizierung macht der VRR – insbesondere bei den Zugbegleitern – klare Vorgaben. Und diese gelten einheitlich für alle Wettbewerbsteilnehmer.“

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