Das erwartete BGH-Urteil und die bundesweiten Folgen
07.02.11 (Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld
Wenn der Bundesgerichtshof morgen sein Urteil fällt, dann geht die Bedeutung des Falles weit über die konkrete Situation im VRR hinaus. Es kann sein, dass der neue Vertrag zwischen der VRR AöR und der DB Regio NRW GmbH nicht gegen Vergaberecht verstößt. Prozessbeobachter halten das jedoch unisono für nahezu ausgeschlossen. Die Folge könnte eine Ausschreibungspflicht sein – mit allen Nachteilen.
Natürlich ist eine Wettbewerbsvergabe sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus ordnungspolitischen Gründen in den meisten Fällen die bessere Alternative. Für die Fahrgäste, die Aufgabenträger und den Steuerzahler. Nichtsdestotrotz sind Direktvergabemöglichkeiten unter bestimmten Umständen notwendig, Wettbewerbsfahrpläne und Laufzeitharmonisierungen wären ansonsten nicht mehr möglich.
So kann es passieren, dass eine verbund- oder gar länderüberschreitende RE-Linie an der Grenze gebrochen werden muss, weil der eine Aufgabenträger einen länger laufenden Vertrag als der andere hat. Auch die Koordination von Ausschreibungen über die Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger (BAG SPNV) wäre nicht mehr möglich – man dürfte nicht mehr für zwei oder drei Jahre einen Vertrag verlängern.
Das hätte auch kurzfristige Folgen für den VRR und den SPNV in Nordrhein-Westfalen. Der viel kritisierte neue Verkehrsvertrag beinhaltet z.B. eine Harmonisierung der Vertragslaufzeiten für alle RE-Linien in Nordrhein-Westfalen. Sie können in einigen Jahren von den Aufgabenträgern ausgeschrieben werden.
Das beinhaltet auch die hochwertigen RE-Linien RE 5 und RE 8, die die Region Köln/Bonn mit Koblenz verbinden. Beide Linien werden vom VRR, vom NVR und vom rheinland-pfälzischen Aufgabenträger SPNV Nord bestellt. Schlimmstenfalls müssten sie an der Länder- und Verbundgrenze gebrochen werden, wenn es keine gemeinsame Vertragsgrundlage mehr gäbe.
Dabei wäre es natürlich nicht sinnvoll, sie auf Jahrzehnte direkt an die DB zu vergeben. Aber für eine faire Ausschreibung solcher Linien ist es zunächst einmal notwendig, dass das bisherigen EVU Altverträge mit den Aufgabenträgern hat, die zum gleichen Zeitpunkt auslaufen. Nur so ist eine Wettbewerbsvergabe möglich.
Dazu droht eine Situation, dass es mal ein paar Jahre lang eine Ausschreibungsflut gäbe und dann einige Jahre gar keine Vergaben stattfänden. Das hätte auch für die Waggonbauindustrie schwerwiegende Folgen. Sie müsste ihre Kapazitäten alle paar Jahre hoch- und wieder runterfahren. Dabei ist man dort auf konstante Investitionen angewiesen.
Auch für interessierte EVU sind Wettbewerbsteilnahmen eine komplexe und kostspielige Sache. Sollte es Vergabewellen geben, könnte die unangenehme Situation entstehen, dass nicht mehr die Aufgabenträger sich das EVU aussuchen können, sondern die EVU können sich die Aufgabenträger aussuchen – während einige Jahre später gar nichts los ist.
Die Ursache liegt nach wie vor daran, dass die Politik seit Jahrzehnten durch Desinteresse glänzt. Da wird mal auf Druck irgendwelcher Lobbyisten der eine oder andere Satz im Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) verändert, aber im großen und ganzen herrscht in der SPNV-Vergabe seit Jahren Richterrecht.
2003 hat das Oberlandesgericht Brandenburg eine Direktvergabe an DB Regio Nordost als rechtmäßig bezeichnet. 2011, acht Jahre später, könnte der Bundesgerichtshof eine Ausschreibungspflicht erlassen. Dabei ist es durchaus möglich, dass die Kammer in fünf, acht oder zehn Jahren – in anderer Besetzung – wieder etwas anderes ausurteilt.
Eine Bundesratsinitiative der rot-grünen Minderheitsregierung Nordrhein-Westfalens, die nichts weiter als ein Schnellschuss ist, um möglichst kurzfristig ein Urteil zu verhindern, ist das Gegenteil dessen, was dringend notwendig ist: Verbindliche Regelungen, die auf der einen Seite maximale Wirtschaftlichkeit gewährleisten und auf der anderen Seite bundesweite Koordination ermöglichen. Und sie auszuarbeiten, braucht etwas. Unter Zeitdruck lässt sich sowas nicht machen.