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Den vollen Nutzen entfalten

18.07.19 (Kommentar, Niedersachsen) Autor:Stefan Hennigfeld

Wussten Sie, dass sich die horizontale Verteilung der Regionalisierungsgelder noch bis vor ein paar Jahren nach dem Ist-Zustand des Jahres 1993, also dem letzten Bestandsjahr der alten Behördenbahn berechnet haben? Erst 2016 ist mit dem Kieler Schlüssel eine sachgerechte Neubewertung der Verteilung zwischen den Ländern erfolgt. Niedersachsen, das besonders unter der Kahlschlagspolitik der alten Behördensbahn gelitten hat, stand also besonders schlecht da.

Jetzt also gibt es aus gutem Grund die Bestrebungen, Strecken, soweit noch vorhanden, wieder in Betrieb zu nehmen. Und auch die Reaktivierung zwischen Bad Bentheim und Neuenhaus wird von Erfolg gekrönt sein, da bin ich sehr sicher. Denn immer dann, wenn man in den letzten Jahrzehnten mit modernen Qualitätsstandards Strecken ertüchtigt oder reaktiviert hat, sind die Zahlen der Gutachter noch einmal deutlich übertroffen worden.

Die These des VCD, dass die Standardisierte Bewertung zu Ergebnissen führe, die dem Nutzen der Schiene nicht gerecht werden, ist vor so einem Hintergrund zumindest mal plausibel, auch wenn hier keine fundierten Verifizierungen vornehmen kann. Aber ein Beispiel kann ich hier nennen, das die Hypothese des VCD stützt: Bei solchen Bewertungen rechnen die Gutachter regelmäßig mit dem Nutzen, der durch den Personenverkehr einhergeht, also gesparte Autofahrten, gesparten Schadstoffausstoß, mehr Menschen, die mit dem Zug zur Arbeit fahren und deshalb keine Parkplätze brauchen und vieles mehr.

Aber der Nutzen, der durch (geringfügigen) Güterverkehr eintreten könnte, der wird völlig außen vor gelassen. Dabei ist eine einzige gesparte Lastwagenfahrt für die Straßeninfrastruktur ein vielfaches Wert als eine gesparte Autofahrt. Wenn man also ein oder zwei Firmen mit einem Gleisanschluss versorgt und es werden mehrere Lastwagenfahrten durch einen täglichen Güterzug ersetzt, dann entsteht ein erheblicher Nutzen und das ohne gesteigerte Investitionskosten, weil die Strecken ja so oder so für den Personenverkehr reaktiviert wird.

Und wie stark so ein LKW die Straße belastet weiß jeder, dem die Vierte-Potenz-Regel geläufig ist. Zur Erinnerung: Diese besagt, dass die Beanspruchung einer Straße durch ein Kraftfahrzeug umso größer ist, je größer die Achslast des betreffenden Fahrzeugs ist. Die Beanspruchung der Straße steigt proportional zur vierten Potenz der Achslast des die Straße befahrenden Fahrzeugs. Ein Lastwagen, der eine zehnmal höhere Achslast hat als ein Auto, belastet die Straße so stark wie zehntausend Autofahrten (zehn hoch vier, also zehn mal zehn mal zehn mal zehn macht zehntausend).

Vor so einem Hintergrund ist es fast schon fahrlässig, sich im Zusammenhang mit einer möglichen Streckenreaktivierung ausschließlich mit dem Personenverkehr zu befassen. Denn machen wir uns klar: Hier werden die vollen Kosten mit nur einem Teil des möglichen Nutzens in Relation gesetzt. Und das ist, wie vom VCD zurecht formuliert, zu Lasten des Verkehrsträgers Schiene. Das muss man auch in Niedersachsen ändern.

Siehe auch: Streckenreaktivierung in Niedersachsen

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