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Studie: Öffis sind länger unterwegs

30.08.21 (Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Eine Untersuchung des Mobility Institute Berlin (mib), der Beratung für die Mobilitätswende, zeigt, wie groß der Reisezeitnachteil für ÖPNV-Nutzer im Vergleich zu Autofahrern in den elf größten deutschen Städten ist. Der systematische Vergleich ergibt, dass die Menschen mit dem ÖPNV im Durchschnitt doppelt so lange (2,06-mal) benötigen, um an ihr Ziel zu gelangen, wie mit dem Auto. Der Reisezeitindex bewegt sich zwischen 1,94 am unteren und 2,24 am oberen Ende der Skala und ist somit in allen untersuchten Großstädten vergleichbar.

Der Reisezeitnachteil des ÖPNV ist deshalb besonders relevant, weil die Reisegeschwindigkeit eines der wichtigsten Kriterien bei der Verkehrsmittelwahl darstellt. MIB-Gründer und Geschäftsführer Torben Greve sieht hier Handlungsbedarf: „Die Verkehrswende gelingt nur, wenn der ÖPNV für mehr Menschen das Verkehrsmittel Nummer eins wird. Dazu muss der ÖPNV aber wettbewerbsfähiger werden.“

Mithilfe des Reisezeitindex werden nicht-konkurrenzfähige ÖPNV-Anbindungen identifiziert und handlungsleitende Erkenntnisse für Lückenschlüsse und Angebotsverbesserungen gewonnen. Durch eine Kombination aus langfristigen Lösungsansätzen wie dem Ausbau des Schienenverkehrs und kurzfristigen Maßnahmen wie dichteren Busnetzen und Takten, können Wartezeiten und lange Fußwege zu den Haltestellen verringert werden.

Je nach Stadtgebiet und Strecke variiert nicht nur die Qualität des ÖPNV, sondern auch der Ausbau des Straßennetzes. Der Reisezeitunterschied ist deshalb stark abhängig vom jeweiligen Standort und Reiseziel innerhalb der Stadt. Allerdings ist die Ausgangslage in den untersuchten Städten nicht nur hinsichtlich des Verkehrsnetzes sehr unterschiedlich. Beispielsweise weisen die beiden erstplatzierten Städte München und Stuttgart (Indexwert 1,94) gegenüber Hamburg (Indexwert 2,24) eine deutlich höhere Einwohnerdichte auf.

Bei dichter Besiedelung können pro Haltestelle mehr Menschen angebunden werden, während in dünn besiedelten Städten die Laufstrecken zu S- und U-Bahnhaltestellen durchschnittlich weiter sind. Dies hat einen Einfluss auf die ÖPNV-Reisezeit. Fünf Stellhebel zur Beschleunigung öffentlicher Verkehrsmittel wurden dabei ausgearbeitet. Mehr Schienenstrecken: Der ÖPNV ist dann besonders schnell, wenn er auf eigenen Strecken unabhängig vom Straßenverkehr ist.

Wir brauchen daher in den Städten mehr Strecken mit S-, U- und Straßenbahnen – und zwar insbesondere dort, wo viele Menschen wohnen und arbeiten oder neue Stadtviertel entstehen. Planung und Bau neuer Schienenstrecken nehmen eine lange Zeit in Anspruch. Auf Relationen mit hoher Nachfrage sollte die Übergangszeit durch einen kurzfristig umsetzbaren Vorlaufbetrieb überbrückt werden, z.B. mit Expressbussen.

Grüne Welle für Bus- und Bahn: ÖPNV-Fahrzeuge werden durch gesteuerte Ampelschaltungen bevorzugt und müssen nur noch an den Haltestellen anhalten. Die „Grüne Welle“ wird für Straßenbahnen durch eine eigene Fahrspur und für Busse durch „Busschleusen“ zum Umfahren des Rückstaus vor Kreuzungen gewährleistet. In Zürich und anderen Städten wird dies in der Praxis bereits angewandt. Weniger Umwege und weniger Umstiege: Im ÖPNV sind zum Teil größere Umwege und mehrfache Umstiege erforderlich, um ans Ziel zu gelangen.

Mit dem Auto fährt man hingegen meist den direkten Weg. Das ist nicht nur unbequem und ein potenzieller Störfaktor, sondern kostet auch Zeit. Durch veränderte Linienführungen und zielgerichtete Lückenschlüsse im Netz lassen sich ÖPNV-Wege deutlich verkürzen. Weniger Warten: Fahrten mit dem ÖPNV dauern allein deshalb länger, weil die Fahrgäste einen beachtlichen Teil der Reisezeit warten müssen.

Jeder Umstieg verlängert die Wartezeit zusätzlich. Die Wartezeiten und damit die Gesamtfahrzeit lassen sich durch dichtere Takte, besser abgestimmte Fahrpläne und eine höhere Zuverlässigkeit deutlich verkürzen. Kürzere Wege: Zahlreiche Fußwege verlängern die Reisezeit mit dem ÖPNV: Der Weg zur Einstiegshaltestelle, beim Umsteigen und auf dem Weg von der letzten Haltestelle zum Ziel.

Durch ein dichteres Busnetz, zusätzliche Haltestellen, zusätzliche Zugänge an Bahnhöfen und Bahnsteigen sowie besser geplante, kürzere Wege beim Umsteigen können deutliche Reisezeitverkürzungen erreicht werden. In Gebieten und/oder zu Zeiten mit geringer Nachfrage ist auch die Integration von Bedarfsverkehren (On- Demand-Verkehre) mit Minibussen in den ÖPNV-Tarif wünschenswert.

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