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Tief im Westen …

25.08.14 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Eine Region, die sich auf ihre Marketingfahnen den Slogan „Woanders ist auch Scheiße“ geschrieben hat, braucht sich nicht zu wundern, wenn sie nie den Bahnhof des Jahres stellt. Denn richtigerweise geht es bei diesem Titel darum, herausragend schöne Stationen zu prämieren, die viele gute Facetten haben, die nicht ins Bild des Bundesbahn-Bahnhofes mit Fäkalgeruch, Vandalismusschäden und zerdepperten Scheiben passen. Hier geht es nicht nach Regionalproporz, sondern nach Attraktivität.

Aber wenn man sich anhört, was die Herrschaften so über Nordrhein-Westfalen sagen, dann kann man sich nur wundern: Diese Vorurteile stimmen nicht mal auf den ersten Blick. „Beispiellos schlecht“ nennt Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, die Bahnhöfe in Nordrhein-Westfalen. „Schlechter noch als die in Brandenburg“ lässt er sich in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung zitieren. Aha. Vielleicht sollte da einfach mal jemand von seinem hohen Ross runterkommen und sich mal die Stationen angucken, die man nicht mit dem ICE erreicht, etwa die vielen Wanderbahnhöfe des Jahres, die gemeinsam mit Fernsehmoderator Manuel Andrack prämiert werden: Iserlohn, Heimbach, Altenhundem, Billerbeck und jetzt Schladern. Ich kenne zumindest einige dieser Bahnhöfe aus eigener Anschauung. Natürlich ist nicht alles perfekt, aber „beispiellos schlecht“ ist das definitiv alles nicht.

Im Gegenteil, gerade wenn man sich so manche Kleinstadtbahnhöfe ansieht, die die Allianz pro Schiene schon prämiert hat, dann stehen die Wanderbahnhöfe diesen in nichts nach. Oder man sehe sich einmal den Göttinger Bahnhof an, den die ÖV-Lobby 2013 ausgezeichnet hat. Ein hervorragendes kulinarisches Angebot („Bitte Majo zu den Pommes!“) und in der Nähe auch eine Apotheke, in der man sich anschließend gleich Magentabletten kaufen kann. Zumal NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) ja durchaus recht hat, wenn er im WDR-Hörfunk darauf hinweist, dass Nordrhein-Westfalen mit über 600 Bahnhöfen teilweise das zehnfache dessen hat, was es in anderen Ländern gibt. Natürlich gibt es hier ebenso viele schlechte wie gute. Dabei ist es ebenjene Allianz pro Schiene, die laut vor Illoyalität der Eisenbahn gegenüber warnt, wenn man darauf hinweist, dass etwa in Duisburg Fangnetze unter den Bahnsteigdächern gespannt sind, damit keine herabstürzenden Teile die Köpfe der wartenden Fahrgäste treffen.

Oh, es liegt sehr viel im argen, keine Frage. Aber die Bahnhofslandschaft in Nordrhein-Westfalen ist so heterogen, dass die pauschale Beschreibung, es sei „beispiellos schlecht“ nicht nur unzutreffend ist, sondern auch von erheblichem Unwissen zeugt. Ja, es gibt die Bahnhöfe, an denen am Wochenende kein Schalter mehr besetzt ist. Keine halb- und scheinselbständige Verkaufsagentur, in der irgendein armer Wicht eine Sieben-Tage- und Hundert-Stunden-Woche hat, der in selbstausbeuterischer Manier für die letzten Kröten dort sitzt und auf Käufer wartet. Das wäre mal ein Punkt, den man thematisieren kann: Den personenbedienten Verkauf. Oder will die Allianz pro Schiene die Deutsche Bahn als ihren Hauptfinancier nicht kritisieren?

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