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Droht der NASA in Sachsen-Anhalt ein zweites Abellio-Urteil?

13.01.12 (Sachsen-Anhalt, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Nachdem der Bundesgerichtshof im vergangenen Jahr eine Direktvergabe durch den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) an DB Regio NRW wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben hat, war für alle klar, dass es keine eisenbahnspezifischen Sonderregelungen gibt. Das Vergaberecht kommt zwingend zur Anwendung. Jetzt liegt eine neue Beschwerde gegen eine freihändige Vergabe an die Deutsche Bahn in Sachsen-Anhalt vor.

Das ist die dritte Vergabe ohne Ausschreibung seitdem der Bundesgerichtshof im Februar 2011 den als Abellio-Urteil bekannten Beschluss erlassen hat. Zunächst erfolgten zwei Direktvergaben in Niedersachsen und Bremen. Es begann mit dem RE-Kreuz Bremen: Hier lautete das Ziel, das einst vom Land Niedersachsen finanzierte Rollmaterial zusammenzuziehen, während der Wettbewerb im Rest des Landes weitergeht.

Die zweite Direktvergabe war der InterCity von Bremen an die Nordsee, der auf diesem Streckenast zum Nahverkehrstarif nutzbar ist. Hierbei handelt es sich um bestellten SPNV, der lediglich umlauftechnisch mit dem eigenwirtschaftlichen Fernverkehr der Deutschen Bahn verbunden ist. Informationen des Eisenbahnjournals Zughalt.de zufolge beauftragte mindestens eine Privatbahn eine renommierte Düsseldorfer Rechtsanwaltskanzlei damit, juristische Schritte zu prüfen. Man verzichtete letztlich jedoch und wo kein Kläger, da kein Richter.

Eine freihändige Vergabe fand jetzt in Sachsen-Anhalt statt. Hier soll es einen bis 2028 laufenden Verkehrsvertrag geben, der ohne vorherige Ausschreibung zustande gekommen ist. Engelbert Recker, Hauptgeschäftsführer des Privatbahnverbandes Mofair e.V.: „Die Situation war dieselbe wie in Nordrhein-Westfalen; ein überteuerter Altvertrag sollte abgelöst werden. Zwar gab es keine öffentlichen Streitigkeiten darum, es ist jedoch davon auszugehen, dass es hinter den Kulissen gewaltig gekracht hat. Die Folge ist ein neuer Vertrag, der einige wenige Investitionen seitens DB Regio vorsieht, der Zugkilometerpreis sinkt geringfügig, dafür gibt es dann aber eine exorbitante Laufzeitverlängerung.“

Eine Privatbahn hat Beschwerde bei der Vergabekammer Halle an der Saale eingelegt, Mofair hat bei der Europäischen Kommission die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens beantragt.

Für den SPNV in Sachsen-Anhalt ist die Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt GmbH (NASA) zuständig. Deren Geschäftsführer Klaus Rüdiger Malter widerspricht der Darstellung von Mofair: „Hier wurde nicht insgesamt ein Altvertrag abgelöst, sondern nur eine Teilleistung. Der Altvertrag hatte ein Volumen von jährlich 24 mio Zugkilometern. Der neue Vertrag sieht 5,6 mio Zugkilometer in Sachsen-Anhalt und insgesamt 0,6 mio Zugkilometer in unseren Nachbarländern vor. Die Situation bei uns ist daher eine andere als es in Nordrhein-Westfalen und beim VRR der Fall war.“

Bereits im Jahr 2002 sollte ein Verkehrsvertrag direkt vergeben werden, der unter Federführung des damals amtierenden Landesverkehrsministers Jürgen Heyer (SPD) zustande gekommen wäre. Soweit kam es jedoch nicht, die Landtagswahlen haben eine schwarz-gelbe Mehrheit gebracht. Heyer nahm kurze Zeit später einen hochdotierten Aufsichtsratsposten bei Scandlines an, einem Unternehmen, das seinerzeit zur Deutschen Bahn gehörte.

Unabhängig vom damaligen Fall geht man bei der NASA davon aus, dass das Vorgehen vor der Vergabekammer Bestand haben wird. Malter: „Unser Vorgehen ist sehr seriös und wir haben die Regelungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen Teil A (VOL/A) vollständig eingehalten. Wir mussten zudem mit großem Aufwand sicherstellen, dass keine Überkompensation zugunsten von DB Regio vorliegt – und das ist uns gelungen. Deshalb sind wir guter Dinge, dass die Vergabekammer Halle an der Saale unsere Rechtsauffassung teilt.“

Das ist anders als in Nordrhein-Westfalen, wo von jetzt auf gleich und ohne jede Transparenz ein neuer Vertrag geschlossen worden ist. Ein Vertrag, der jeden Wettbewerb auf Jahre, teilweise auf Jahrzehnte hinaus unterwandert hätte. „Bei uns wurden in den letzten Jahren zahlreiche Ausschreibungen abgeschlossen oder laufen derzeit. Von einer ganzheitlichen Marktabschottung, wie Mofair sie kritisiert, kann daher keine Rede sein. Aber wir müssen mit Ruhe und Augenmaß überlegen, was das beste für uns und unsere Kunden ist. Hier werden jetzt Züge abgelöst, die teilweise bis zu vierzig Jahre alt sind und noch zu DDR-Zeiten angeschafft wurden“ erklärt Klaus Rüdiger Malter.

Recker: „Wenn auch nicht der gesamte Altvertrag abgelöst wurde, so doch die Hälfte. Die VO 1370/07 sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass nach nationalem Recht Direktvergaben nicht zulässig sind. Sie sind ohnehin nur für Dienstleistungskonzessionen, also Nettoverträge möglich. Hier handelt es sich aber um Dienstleistungen, also einen Bruttovertrag. Da gibt es auch im europäischen Vergaberecht keine Ausnahmen. Auch geht es nicht um die Überkompensation, da sie nur für Dienstleistungskonzessionen relevant ist. Mit dem Abellio-Urteil hat der BGH entschieden, dass in Deutschland die Ausschreibung Vorrang hat. Wir als Verband gehen daher davon aus, dass diese Direktvergabe von den Gerichten einkassiert wird.“

Auch diese Vorwürfe weist Malter zurück. „Wir haben zunächst eine Direktvergabe nach der VO 1370/07 geplant. Das war jedoch bevor der Bundesgerichtshof seinen Beschluss erlassen hat. Ein Privatbahnanbieter wollte dagegen angehen, im Lichte des laufenden Verfahrens zwischen Abellio und dem VRR einigten wir uns darauf, zunächst abzuwarten. Aber gerade weil wir die Vergabeordnung einhalten sehen wir unser Vorgehen durch den BGH-Beschluss gedeckt.“

Es geht um die juristisch komplizierte, aber dennoch wichtige Frage, ob es sich um eine Direktvergabe handelt, wie sie das europäische Recht vorsieht, oder um eine freihändige Vergabe, wie sie die nationale VOL/A vorsieht. Insgesamt handelt es sich um einen komplexen Sachverhalt. Am 10. Januar hat die NASA ihre Stellungnahme der Vergabekammer vorgelegt. Eine Entscheidung kann dauern. Malter: „Die Vergabekammer hat nicht aller Tage mit milliardenschweren Aufträgen im SPNV zu tun. Deshalb rechnen wir nicht mit einer kurzfristigen Entscheidung.“

Recker: „Es steht den Vertragsparteien jederzeit frei, Änderungen zu vereinbaren, auch beispielsweise das Rollmaterial zu erneuern. Was nicht geht, ist dass hier ein Vertrag zu Lasten Dritter geschlossen wird. Das ist jedoch der Fall, wenn ein 2017 endender Vertrag um weitere elf Jahre bis 2028 verlängert wird. Das hat auch nichts mit der Frage zu tun, ob die NASA anderweitig Wettbewerb macht.“

Spannung ist also garantiert. Noch immer versucht zudem die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, über den Bundesrat eine Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) durchzuführen. Mit dem Versuch war man im letzten Winter gescheitert, als man per Schnellschuss das Abellio-Urteil verhindern wollte. Nun könnte man Schützenhilfe aus Sachsen-Anhalt bekommen.

Recker: „In Düsseldorf scheint man noch immer nicht verstanden zu haben, dass eine Änderung des AEG nicht ausreicht. Ausnahmetatbestände müssen im Vergaberecht geregelt werden. Dort sind Änderungen aber nicht mehrheitsfähig, denn dann wäre für Sonderregelungen Tür und Tor geöffnet. Jeder würde kommen und für sich eine Extrawurst verlangen, nicht nur das Eisenbahnwesen.“

Auch politisch kritisiert der Verband diesen Vorstoß. „Die Deutsche Bahn hat aufgrund ihrer Konzernstruktur jede Menge Möglichkeiten, ihren Wettbewerbern das Leben schwer zu machen. Angefangen bei der Bahnstromdiskriminierung. – Privatbahnen zahlen wegen einer in unseren Augen rechtswidrigen Rabattregelung mehr höhere Preise für Energie als DB-eigene Unternehmen, – bis hin zu Trassenpreisen und Vertriebsregelungen. Wir haben den Verdacht, dass Direktvergaben den Weg frei machen sollen für Schieneninvestitionen, die sonst nicht getätigt werden würden. Solchen Deals würde man Tür und Tor öffnen. Davor muss man die Länder schützen und deswegen ist der Vorstoß von NRW abzulehnen,“ so Engelbert Recker.

Das sieht man bei der NASA anders. Malter: „Zunächst einmal lehnen auch wir Hinterzimmer-Deals kategorisch ab. Aber je nach Einzelfall muss man sich überlegen, ob es nicht doch Mittel und Wege geben sollte, auch einmal direkt zu vergeben, wenn die Umstände dafür sprechen.“ Malter befürwortet daher eine entsprechende Anpassung des Vergaberechtes.

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