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Die EVG im Überlebenskampf

17.12.12 (Nordrhein-Westfalen, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Wenn die Luft dünner wird, wird der Ton rauer. Den Eindruck könnte man haben, wenn man sich die Reaktionen der EVG auf die Äußerungen des nordrhein-westfälischen GDL-Vorsitzenden Frank Schmidt im Eisenbahnjournal Zughalt.de von letzter Woche anguckt. Da wird ein auch mit viel Phantasie nicht nachvollziehbarer Vergleich mit Opel in Bochum gezogen und die Behauptung aufgestellt, das VRR-Lebenszyklusmodell trage dazu bei, dass hochqualifizierte Facharbeiter künftig alle in der Arbeitslosigkeit landen. Wissen die es nicht besser? Sind das alles unbelehrbare Betonköpfe, die diesen Quatsch wirklich glauben? Die Basis in Teilen bestimmt. Aber diejenigen, die die EVG steuern, sind nicht dumm, sondern knallhart berechnend. Dort weiß man genau, was droht, wenn die Waggonbauindustrie wirklich im großen Stil ins After-Sales-Geschäft einsteigt.

Eine aktuelle SCI-Studie legt dar, dass das Neufahrzeuggeschäft stagniert. Wachstumspotential gibt es bei der Fahrzeugwartung. Dabei spielt es zunächst einmal keine Rolle, ob der Hersteller für die Wartungsarbeiten als Unterauftragnehmer oder als zweiter Hauptauftragnehmer auftritt. Die Folge wäre jedenfalls, dass die Angestellten der Hersteller in einen Tarifvertrag der IG-Metall fallen, da hat Frank Schmidt völlig recht. Der Verdienst würde steigen und zwar erheblich. Wäre es der EVG wirklich ernst mit den Interessen der Mitglieder – und das bisherige Verhalten lässt darauf schließen, dass das nicht der Fall ist – dann wäre es jetzt schon an der Zeit, das Gespräch mit den Aufgabenträgern, dem Verkehrsministerium und auch den Herstellern zu suchen, um Regelungen für die Betroffenen zu finden.

Es ist Aufgabe einer Gewerkschaft, so früh wie möglich individuelle aber auch tarifvertragliche Lösungen zu erarbeiten, damit niemand auf der Straße steht und dass es verbindliche Ansprüche gibt, von der DB AG (die nun einmal historisch gewachsen heute die Linien fährt, die als RRX-Vorlaufleistung jetzt vergeben werden sollen) zu dem Unternehmen zu wechseln, das die Wartung und Instandhaltung der Flotte durchführt. Das kann übrigens durchaus ein Eisenbahnverkehrsunternehmen als Unterauftragnehmer des Herstellers sein. Es kann aber auch der Hersteller selbst sein.

So ist es gut möglich, dass ein Teil der Flotte bei Siemens in Koblenz gewartet wird. Siemens ist nämlich im NVR-Gebiet schon in der Instandhaltung dabei und hat einen Fullservice-Vertrag mit Trans-Regio. Die Verantwortung des Herstellers endet nicht mehr der Auslieferung oder maximal drei bis fünf Jahre später nach Ablauf der Garantie. Ein Wirrwarr an Zuständigkeiten ist dabei nicht zu erwarten, das zeigen die Erfahrungen in vielen anderen europäischen Ländern. Es gibt nur einen potentiellen Verlierer bei der ganzen Sache und das ist die EVG. Hier droht der gesamte Instandhaltungsbereich wegzubrechen.

Sehen wir mal in einen anderen Bereich, den Vertrieb. Hier ist Wettbewerb derzeit noch die Ausnahme, aber er wird kommen. Im NVR gab es bereits eine Ausschreibung für Vertriebsleistungen, die DB Vertrieb für sich entschieden hat. In Niedersachsen hat jüngst ein unabhängiges Unternehmen gewonnen. Der Verkauf von Fahrscheinen für den SPNV erfolgt dort demnächst ohne DB Vertrieb. Im konkreten Fall ist es ein relativ neues Unternehmen, aber die gesamte Reisebranche mit teilweise gewichtigen Marktspielern dürfte potentiell großes Interesse daran haben, in den SPNV-Vertrieb einzusteigen. Ob Expedia, Trivago, TUI, Lufthansa oder wer auch immer: Hier ist ein lukrativer Markt, der sich gerade erst öffnet. Aber die Unternehmen sind schon da und haben ihrerseits gewachsene Strukturen inklusive Tarifverträgen. Dann kann schon bald eine Situation entstehen, bei der die EVG in einen Zwei-Fronten-Krieg geraten könnte, den sie nicht übersteht: Ver.Di im Dienstleistungsbereich und die IG-Metall bei technischen Berufen. Das hat man längst erkannt und rüstet sich für das letzte Gefecht – auch indem man bei den Mitgliedern Ängste schürt, um diese Ängste dann für seine eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Ein persönliches Wort: Das ist zutiefst unanständig.

In welchem Zustand sich die EVG befindet lässt sich ganz leicht verdeutlichen: Bei ihrer Gründung vor etwas mehr als zwei Jahren hatte sie rund 246.000 Mitglieder – jetzt sind es weniger als 220.000. Einer Gewerkschaft, die in zwei Jahren mehr als zehn Prozent ihrer Mitglieder verliert, die hat existentielle Nöte. Informationen des Eisenbahnjournal Zughalt.de zufolge gibt es nur noch knapp 70.000 EVG-Mitglieder in den Personalbeständen der Deutschen Bahn. Da erklärt sich auch ganz schnell wie der Mitgliederverlust zustande gekommen ist; nicht durch eine Austrittswelle – es dürfte sich größtenteils um Bundesbahn-Pensionäre handeln, die an Altersschwäche gestorben sind. Obwohl die DB AG alles tut, um ihre Hausgewerkschaft bei der eigenen Belegschaft zu stärken, hat diese zu kämpfen. Da, wo die Argumente ausgehen hilft Krawallrhetorik. Bereits seit längerer Zeit wirft die EVG in dieser Frage unterschiedliche Sachverhalte in einen Topf und mixt daraus einen großen, pappigen Anti-VRR-Brei. Ob die Rollmaterialinvestitionen, die Herstellerwartung oder was auch immer. Die Kommunikationsabteilung der DB AG hat es während der langjährigen Auseinandersetzung hervorragend geschafft, Martin Husmann in der Belegschaft zum Feindbild zu stilisieren. Jetzt baut die EVG genau darauf auf – und ist sachlichen Argumenten nicht zugänglich, sondern blamiert sich mit dümmlichem Agitprop.

In welcher Situation sind Aufgabenträger? In einer sehr undankbaren! Denn sie müssen private Investoren dazu bringen, dass diese hier eigenes Geld investieren um davon Züge anzuschaffen. Dann haben die Aufgabenträger auch die Pflicht, den Investoren zu garantieren, dass für diese Züge während der gesamten Abschreibungsdauer auskömmliche Aufträge erteilt werden. Tun sie das nicht, laufen sie Gefahr, die Restwertrisiken von Anfang an mit eingepreist zu kriegen. Der Bieterkreis verkleinert sich zudem. Wenn man nach 16 Jahren Regionalisierung eins gelernt hat, dann dass man den Eisenbahnunternehmen im SPNV die gigantischen Investitionen abnehmen muss – um dieses Geschäft auch für mittelständische Unternehmen wieder attraktiv zu machen.

Letzte Woche hat Alexander Kirfel vom Netzwerk Europäischer Eisenbahnen ausgeführt, dass schon jetzt eine besorgniserregende Oligopolbildung weniger Staatskonzerne im SPNV droht. Selbst hier gibt es Grenzen: Der deutsche Staat zahlt im Zweifel unbegrenzt für die DB AG, der niederländische Staat haftet aber nicht für Abellio und der französische Staat nicht für Keolis. Wie sieht es dann erst bei Unternehmen aus, die keine Gesellschafter haben, die sich auf Augenhöhe mit der DB AG bewegen?

Die Marktkonsolidierung bei den G6-Konzernen ist noch nicht abgeschlossen. Wenn es schlecht läuft, werden aus den G6 im Jahr 2020 die G2 oder G3. Gerade deswegen sind die unabhängigen mittelständischen Unternehmen überlebenswichtig für die gesamte Branche. Sie zu fördern ist notwendig. Durch Absicherung von Investitionen und Losbildung, aber vor allem durch Verlässlichkeit. Das gesprochene Wort muss gelten. Im Moment macht Nordrhein-Westfalen sich im bundesweiten Vergleich lächerlich.

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