Bahn und SPD-Mitglieder gehen auf Distanz bei Stuttgart 21 – andere Verkehrsprojekte in Gefahr
17.12.12 (Stuttgart, Verkehrspolitik) Autor:Niklas Luerßen
Nachdem sich am Mittwoch in der Aufsichtsratssitzung der Deutschen Bahn (DB) deutliche Kostensteigerungen beim „bestgeplantesten Projekt überhaupt in der deutschen Eisenbahngeschichte“ bestätigt hatten, verschärft sich offenbar auch innerhalb der Bundesregierung und sogar der DB der Streit darüber, ob das Projekt fortgeführt werden soll. Inzwischen wurde auch bekannt, dass unter diesen Vorzeichen wegen Stuttgart 21 sechs Strecken gestrichen werden können.
Am vergangenen Freitag hatte die SPD vormittags kurzfristig eine Sondersitzung durchgesetzt, nachmittags dann eine sogenannte Aktuelle Stunde, die von den Grünen beantragt wurde. In beiden Sitzungen war DB-Infrastruktur- und Technikvorstand Dr. Volker Kefer zugegen und es ging um die Kostenentwicklungen von Großprojekten an den Beispielen Berliner Flughafen und Stuttgart 21. In beiden Sitzungen hagelte es massive Kritik an der Bahn. In einer anschließenden nichtöffentlichen Sitzung soll Kefer mehreren Aussagen dortiger Teilnehmer zufolge sogar erstmals auf Distanz zum hochumstrittenen Bahnprojekt gegangen sein. So sagte er, mit diesen heutigen Daten würde man es sich „sehr gut überlegen“, ob man das Projekt anpacken würde. – Abonnenten lesen die ausführliche Fassung über die Geschehnisse der Sitzung in der aktuellen Ausgabe unseres Newsletters.
Die SPD-Fraktion im Bundestag distanzierte sich auffällig. Falls die DB die weiteren Mehrkosten übernehmen sollte, fehle dieses Geld bundesweit bei anderen Infrastrukturmaßnahmen, wie für barrierefreie Ausbaumaßnahmen an Bahnhöfen, für Lärmschutz und Güterverkehrskorridore, so SPD-Fraktionsvorsitzender Florian Pronold. Doch nicht nur im Bund mehren sich die kritischen SPD-Stimmen, auch im „Ländle“ melden sich immer mehr Genossen zu Wort, die vorher teilweise sogar stramm hinter Stuttgart 21 standen. – Abonnenten lesen die ausführliche Fassung über die Äußerungen verschiedener hochrangiger SPD-Mitglieder in der aktuellen Ausgabe unseres Newsletters.
Nach Informationen des Magazins „Spiegel“ legte Kefer dem Aufsichtsrat außerdem eine Streichliste mit sechs Strecken vor. Diese seien wegen den massiven Kostensteigerungen bei Stuttgart 21 notwendig. Dabei handelt es sich vor allem um den Rhein-Ruhr-Express auf der Achse Dortmund – Duisburg – Düsseldorf – Köln, die Neubaustrecke Frankfurt – Mannheim, im Kölner Raum die S-Bahn-Verlängerung der S13 Troisdorf – Bonn – Oberkassel, im Frankfurter Raum die S-Bahn-Strecke Bad Vilbel – Friedberg sowie der viergleisige Ausbau Frankfurt West – Bad Vilbel zur Separierung der S-Bahn S6 vom Regional- und Fernverkehr. Diese Projekte haben ein Investitionsvolumen von insgesamt über 9 Mrd. Euro. Dies wäre konträr dem Versprechen vor und während der Volksabstimmung am 27.11.2011, dass Stuttgart 21 keinerlei Verkehrsprojekte beeinträchtigen, einige sogar noch fördern würde.
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast forderte angesichts der letzten Entwicklungen ein Einschreiten der Bundesregierung. Die Regierung müsse sicherstellen, dass die DB wirtschaftlich vernünftig agiert. „Ich frage Frau Merkel: Wie teuer darf Stuttgart 21 noch werden? Die Regierung trägt eine Mitverantwortung daran, dass die Kostenrisiken über Jahre verdeckt wurden.“ Nach Ansicht Künasts sollte der Bund seine Aufsichtsratsmandate bei der Bahn nutzen, um Einfluss auf das unternehmerische Handeln der Bahn zu nehmen. Deshalb forderte Künast: „Wenn der Bund tatsächlich weitere Finanzmittel verweigert, müssen auch die Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat die DB AG an Fehlinvestitionen hindern.“