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Interview mit Heinrich Brüggemann (Teil 1): Den Berg an Ausschreibungen entzerren

16.04.12 (Nordrhein-Westfalen) Autor:Stefan Hennigfeld

Heinrich Brüggemann (59) ist seit elf Jahren Vorsitzender der Geschäftfsührung von DB Regio NRW. In die Zeit seiner Tätigkeit fiel die langjährige Auseinandersetzung mit dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, die mit dem Abellio-Urteil schließlich zu einem der wichtigsten Gerichtsentscheide in der deutschen Eisenbahngeschichte geführt hat. DB Regio NRW ist nach Jahren der Sanierung auf dem Weg zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen, das die unbestrittene Nummer Eins in Nordrhein-Westfalen ist.

Mit dem Eisenbahnjournal Zughalt.de sprach Brüggemann über die Situation seines Unternehmens, des Gesamtmarktes und die Stellung der Eisenbahn im Wettbewerb der Verkehrsträger.

Herr Brüggemann, Sie stehen jetzt seit elf Jahren DB Regio NRW vor. In dieser Zeit haben Sie erhebliche Veränderungen durchgeführt. Noch vor ein paar Jahren war eine Ausschreibung gleichbedeutend mit der Betriebsaufnahme einer Privatbahn. Das ist jetzt anders. Sie haben erst in diesem Jahr zwei heiß umkämpfte Ausschreibungen für sich entscheiden können, nämlich die Haardachse und S 5 / S 8. Gerade dort ging man allgemein davon aus, dass jemand anders als Sie der Favorit wäre. Wie haben Sie das gemacht?

Also zunächst einmal ist die Bezeichnung Privatbahn ja so richtig nicht. Das sind fast ausschließlich Staatskonzerne. Keolis etwa gehört mehrheitlich der französischen Staatsbahn SNCF, Abellio ist im Besitz der niederländischen Staatsbahn NS, Netinera gehört der italienischen Staatsbahn FS und so weiter.

Bei der Ausschreibung um die S-Bahnlinien S 5 und S 8 hat sich auch die RATH GmbH beteiligt, ein klassisches mittelständisches Unternehmen, das auch zu keinem globalen Big Player gehört.

Das ist ein Glitzerstein im Mosaik. Im Prinzip sind wir im Markt unterwegs auf Augenhöhe mit anderen Unternehmen, die ganz oder überwiegend im Staatsbesitz sind, wie etwa auch Veolia. Zu Ihrer Frage: Die Herausforderungen waren groß. Wir haben eine andere Geschichte: Wir waren zunächst Alleinanbieter und mussten Wettbewerb erst lernen. Auf die zwei Ziele, die die Politik mit der Regionalisierung des Marktes im Schienenpersonennahverkehr verfolgt hat, mussten wir uns erst einstellen. Als da wären: Kostengünstig sein einerseits, qualitativ hochwertig sein andererseits.

Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen: Wir haben uns natürlich mit unseren Kostenstrukturen beschäftigt und haben an unterschiedlichen Stellschrauben gedreht, um bei steigender Qualität mit weniger Geld auszukommen, d.h. preislich attraktiver zu werden, damit wir Ausschreibungen gewinnen können.

Das Erfolgsentscheidende ist aber etwas anderes gewesen: Wir haben uns intensiv mit der Weiterbildung unserer Kolleginnen und Kollegen befasst. Nicht nur in den Büros und in den Verwaltungsbereichen, sondern gerade auch bei denen, die tagtäglich in den Zügen und Werkstätten am Produkt und am Kunden tätig sind. Hier konnten wir deutlich machen, dass unsere Kernaufgabe darin liegt, Fahrgäste zufrieden zu stellen. Das hat an der ein oder anderen Stelle auch ein Umlernen erfordert: Vom betrieblichen Fahrzeugschlosser hin um kundenorientierten Berater. Das ging nicht mit einem Fingerschnipp, aber wir sind stolz darauf, dass uns das in einem überschaubaren Zeitraum gelungen ist.

Sie haben jetzt Ihre Haupteinnahmequelle, nämlich die Direktvergabe, vor etwas mehr als einem Jahr verloren. Sie können die Linien S 5 und S 8 zwar weiter betreiben, werden jedoch deutlich weniger Geld verdienen. Bei der Haardachse behalten Sie ab 2014 den Zugkilometerpreis von 2004. Das ist ein schönes Inflationsziel. Befürchten Sie dennoch, dass Ihre Gewinne einbrechen könnten?

Nein. Wir planen nach vorne mit einem vernünftigen Betriebsergebnis und wenn Sie gerade unterstellt haben, dass wir in der Vergangenheit durch sogenannte Direktvergaben besonders viel Geld verdient hätten, dann mag das auf der einen oder anderen Linie stimmen, auf vielen anderen war genau das Gegenteil der Fall, so dass auch in den großen Verträgen der Vergangenheit der Mix der unterschiedlichen Linien zu einem, wie wir meinen, nicht unattraktiven, aber vernünftigen Gewinn geführt hat. Das wollen wir auch weiterhin realisieren. Wir brauchen diesen wirtschaftlichen Erfolg, um die investive Kraft zu haben, im Wettbewerb bestehen zu können.

VRR-Geschäftsführer Martin Husmann sagte im Februar, dass DB Regio in den Qualitätsrankings immer noch relativ schlecht abschneidet. Nicht mehr so schlecht wie vor ein paar Jahren, aber Sie seien überall dort am schlechtesten, wo Sie per Direktvergabe fahren und am zweitschlechtesten wo Sie per Ausschreibungsgewinn fahren. Wie sehen Sie das?

Lassen Sie mich, statt Herrn Husmann zu kommentieren, auf etwas anderes hinweisen: Die Fahrgast- und Bestellerbefragungen, die wir seit Jahren regelmäßig durchführen, geben uns nach einem schlechten Befriedigend im Jahr 2009 ein schlechtes Gut im Jahr 2011 nach der Schulnotenskala. Das ist noch nicht der Punkt, zu dem wir wollen, aber ich sehe DB Regio NRW hier auf dem richtigen Weg und einen deutlichen Trend nach oben.

Wir messen mit dem Unternehmen Infas zweimal im Jahr die Fahrgastzufriedenheit. Unsere Kunden bewerten uns nach verschiedenen Kriterien unseres Leistungsspektrums in der Zeit zwischen 2007 und 2011 mit immer weniger schlechten und immer mehr guten Noten. Dort sind die für unsere Kunden wichtigen Betrachtungsmerkmale drin, etwa Sauberkeit, Zuverlässigkeit, Fahrgastinformation.

2007 war ja auch noch ein Jahr der großen Schlechtleistungen. Vom 1. April 2007 an hat der VRR Ihnen monatlich eine Million Euro an Bestellerentgelten gekürzt. Sicherlich ist der Zeitpunkt auffallend, drei Monate nachdem die Senkung der Regionalisierungsmittel nach Koch-Steinbrück in Kraft getreten ist, aber die erheblichen Schlechtleistungen waren ja erkennbar vorhanden. Es fing eine mehrjährige Auseinandersetzung an, die dann erst in einem vom Bundesgerichtshof aufgehobenen und dann in einem rechtskonformen Vergleich mündete. Inwieweit spielt das eine Rolle? War es damals einfach wirtschaftlich richtig, Schlechtleistungen abzuliefern und ist eine bessere Wartung der Züge heute aufgrund der geänderten Vertragsverhältnisse notwendig?

Die sogenannten Schlechtleistungen sind ja vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen als für diesen Streit unerheblich bewertet worden. Sie haben ja selbst als Zuschauer an der mündlichen Verhandlung am 19. Dezember 2008 teilgenommen. Der Grund für den jahrelangen Streit mit dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr lag in einem finanziellen Engpass des VRR, um es mal höflich zu formulieren.

Wie gesagt: Die Kürzungen begannen drei Monate nach dem Inkrafttreten von Koch-Steinbrück.

Was man gar nicht hat, kann man nicht kürzen. Aber auch das war für uns sicherlich eine zusätzliche Motivation, uns besonders anzustrengen, zu beweisen, dass wir die Nummer Eins im Markt sind und dass wir das auch bleiben möchten.

Sie streben trotzdem, gemeinsam mit dem VDV, eine Veränderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes an, um Direktvergaben wieder zu ermöglichen. Unabhängig von der juristischen Debatte, ob eine Änderung des Eisenbahnrechtes ausreicht, oder ob man ans Vergaberecht herangehen muss, Sie denken dass man neue Optionen auf Direktvergaben braucht?

Wenn die Politik beim Erfolgsrezept Wettbewerb bleiben will, also Qualität steigern und öffentliches Geld einsparen, dann brauchen Unternehmen dafür einen Anreiz, sich zu betätigen. Das was am Markt an Ausschreibungen da ist, das muss beherrschbar sein. Bei der laufenden Vergabewelle erleben wir, dass bei gleicher Anzahl Wettbewerber weniger Angebote pro Ausschreibung zustande kommen.

Wenn man sich dann die Frage stellt, woran das liegt, dann ist eine Antwort sicherlich, dass zu viele Ausschreibungen auf einmal kommen und das kaum zu bewältigen ist. An dieser Stelle wäre es für den Wettbewerb im SPNV hilfreich, wenn die Aufgabenträger entscheiden könnten, den Berg an Ausschreibungen etwas zu entzerren und dazu brauchen sie die Direktvergabe.

Es gibt die Möglichkeit der Notvergabe, mit dem Eurobahn-Sprinter haben wir eine solche in Nordrhein-Westfalen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, bestehende Verträge um bis zu zwanzig Prozent auszuweiten. Wenn man eine 15jährige Ausschreibung hatte, kann man auf 18 Jahre verlängern ohne dass jemand erfolgreich klagen kann.

Die Frage ist immer, wie rechtssicher diese Möglichkeiten sind. Lassen Sie mich, auch als ehemaliger Jurastudent, eine Binsenweisheit sagen: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Man kennt das Ergebnis immer erst am Ende eines Prozesses. Insofern wäre eine klare Regelung im Gesetz auch aus unserer Sicht die einfachste Möglichkeit für Aufgabenträger, die Vergabewelle rechtssicher beherrschbar zu machen. Warum sollte man unnötig Rechtsstreitigkeiten riskieren und öffentliches Geld auf die Spielbank zu bringen, wenn man mit der Änderung eines Halbsatzes im Gesetz allen Beteiligten helfen kann?

Lesen Sie den zweiten Teil des Interviews. Heinrich Brüggemann spricht über die Personalsituation bei DB Regio NRW, den Umgang mit den Mitarbeitern und die politische Zukunft der Eisenbahn in Deutschland.

Bild: Knut Germann

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