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Verfassungsrechtler Meyer: „Finanzierungsverträge zu Stuttgart 21 sind unwirksam“

11.08.11 (Allgemein) Autor:Max Yang

Seit einer Grundgesetzänderung im Jahr 1969 sei es verboten, dass der Bund Landesaufgaben sowie ein Land Bundesaufgaben bezahlen würde. Deshalb seien die Finanzierungsverträge zu Stuttgart 21 „null und nichtig“. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls der Verfassungsrechtler Hans Meyer, der in Frankfurt Professor für Staats-, Verwaltungs- und Finanzrecht sowie zwischen 1996 und 2000 Präsident der Humboldt-Universität in Berlin war.

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Nachdem man unschöne Erfahrungen mit Mischfinanzierungen von Bund und Ländern gesammelt hatte, hatte man 1969 das Grundgesetz entsprechend geändert und Mischfinanzierungen von Bundesaufgaben seitens der Länder sowie Landesaufgaben seitens des Bundes untersagt (§104a Abs. 1 GG). Länder im Sinne des Gesetzes sind auch Kommunen und andere Gebietskörperschaften, in diesem Falle also die Stadt und die Region Stuttgart.

Es existierten Ausnahmen, die hier aber nicht zuträfen. Fernstreckenbau ist trotz privatwirtschaftlicher Organisierung der Bahn Bundesaufgabe und durch ein Bundesgesetz sei zu regeln, dass „dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen Rechnung getragen wird“ (§87e Abs. 3 und 4 GG).

Selbst ein besonderes Interesse des Landes erlaubt keine Mitfinanzierung, denn nur bei alleiniger Finanzierung des Bundes und der Bahn können diese unbeeinflusst unter dem Gesichtspunkt des Wohls der Allgemeinheit Strecken ausbauen, anstatt durch sogenannte Spendierfreudigkeit finanziell besser dastehender Länder beeinflusst zu werden. Im Falle des fraglichen Projekts Stuttgart 21, das unter Einbeziehung konservativer Schätzungen und Erfahrungen vergleichbarer Großprojekte auf etwa 10 Mrd. Euro hinausläuft, ließen sich etliche besser bedientere Strecken im Bund ausbauen und beschleunigen.

Nach Meinung von Meyer würde der Finanzierungsvertrag gegen ein verfassungsrechtliches Verbot verstoßen. Die Rechtsordnung schreibe unabhängig eines zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Vertrages die Nichtigkeit dessen vor.

Merkwürdig ist die Art und Weise des Aufbaus des Finanzierungsvertrags: Nach §2 Abs. 2 sei das Projekt „qualifiziert abgeschlossen“, wenn die Kosten von drei Milliarden Euro (Stand April 2009) bis Ende 2009 auf über 4,526 Mrd. Euro steigen sollten und nicht anderweitig aufgefangen werden könnten. Anstatt jedoch zu regeln, dass das Land nach Ablauf der Frist für immer und ewig mit einer jeweils anteiligen Mitfinanzierung verpflichtet bliebe, wurde in §8 Abs. 4 lapidar geregelt „Die Vertragsparteien nehmen Gespräche auf“.

Es wird also temporär eine Klausel im Vertrag für unwirksam erklärt, die wegen Zeitablaufs sowieso nicht mehr gültig ist. Es solle suggeriert werden, dass das Land im Vertrag gebunden bleibt, egal wie hoch die Kosten letztendlich ansteigen werden. Ob das entsprechende Gerichte auch so sehen würden, ist aber zweifelhaft.

Stutzig macht, dass das Land bei prognostizierten Projektgesamtkosten von drei Milliarden Euro knapp 22% tragen soll, bei anvisierten Kosten von 4,5 Mrd. Euro jedoch ca. 36,4% – obwohl das Land nicht der Vorhabenträger ist und auch den geringsten Einfluss auf Kostensteigerungen haben wird. Für die Schnellfahrstrecke Wendlingen – Ulm, die am Fildertunnel anschliesst, ging es für das Land auch lediglich um das Vorziehen einer seitens des Bundes für 2017 geplanten Maßnahme. Verfassungsrechtlich gerade noch so im Rahmen wäre die anfangs seitens des Landes angebotene Vorfinanzierung gewesen. Da der Bund sich aber nicht bewegte, änderte der Ministerpräsident die Vorfinanzierung in Höhe von ca. 950 Mio. Euro in einen Zuschuss um, worauf der Bund nicht mehr Nein sagen konnte.

Die Änderung von einer Vorfinanzierung in einen Zuschuss musste aber dem Parlament erklärt werden. Das wurde dem Sprecher der größten Regierungsfraktion überlassen, der zu Protokoll gab, lieber würde er 950 Mio. Euro Stück für Stück für ein Bahnprojekt ausgeben, als für die Summe auf einen Schlag für viele Jahre entsprechende Zinsen bei den Banken zahlen zu müssen. Ausgehandelt und unterschrieben wurde der Finanzierungsvertrag letztendlich auf Landesseite vom damaligen Ministerpräsidenten Oettinger. Als Landesdrucksache 14/4382 ist dieser zugänglich. „Großprojekte und ihre Schwächen überleben ihre Väter“. Die derzeitige grün-rote Koalition dürfte derzeit der Leidtragende sein.

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