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Die Schattenseiten des InterCity-Konzeptes in Niedersachsen

11.08.11 (Bremen, Fernverkehr, Niedersachsen, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Private Marktspieler werden benachteiligtMit viel Euphorie wurde es angekündigt, das neue Verkehrskonzept von Bremen an die Nordsee. Man wird stets im Nahverkehrstarif fahren können, egal ob mit dem Regionalexpress oder dem InterCity. Dieser wird aus Leipzig kommend von Bremen bis an die Nordsee ein bestellter Zug, der verlässlich alle zwei Stunden fährt. Regionalexpress und InterCity bilden gemeinsam einen sauberen Stundentakt. Tolle Sache – oder nicht?

Die LNVG Niedersachsen ist seit Jahren auf Wettbewerbskurs. Dieser Ansicht ist auch Timo Kerßenfischer von der Nordwestbahn: „Die Landesnahverkehrsgesellschaft ist bundesweit einer der Vorreiter in Sachen Wettbewerb – und ist damit bisher sehr erfolgreich.“ Unwirtschaftliche Direktvergaben, wie andere Aufgabenträger sie gern machen, sind dort nicht üblich.

Im dritten Quartal 2010 tauchte auf einmal eine Ankündigung im europäischen Amtsblatt auf, dass das RE-Kreuz Bremen direkt an DB Regio vergeben wird. Dabei werden Züge zum Einsatz kommen, die das Land Niedersachsen zu fünfzig Prozent finanziert hat. „Uns hat dieses Vorgehen, auch im Lichte des Abellio-Urteils, überrascht“, sagt Kerßenfischer.

Juristisch zu Fall bringen lässt es sich wohl kaum. Zum einen ist es eine Direktvergabe, die sämtliche Anforderungen nach der EU-Verordnung 1370/07 erfüllt: Alle interessierten Eisenbahnverkehrsunternehmen haben ein Jahr Zeit, ein Angebot abzugeben. Selbst wenn sich das nach nationalem Recht angreifen ließe, die Folge wäre wohl eine Ausschreibung wie bei der S-Bahn Dresden, wo DB Regio mit Rollmaterial bieten durfte, an dessen Anschaffung sich der Freistaat Sachsen beteiligt hat.

Trotz ihrer wettbewerbs- und ordnungspolitischen Fragwürdigkeit soll diese Neuvergabe Ersparnisse bringen, aus denen der InterCity an die Nordsee finanziert wird. Es gibt ihn also doch, den bestellten Fernverkehr. Die Deutsche Bahn hätte diesen Ast sonst eingestellt und die LNVG wäre gezwungen gewesen, einen Ersatz-RE zu bestellen. Das wäre insgesamt wahrscheinlich teurer gekommen. Eine Win-Win-Situation? Oder doch nicht?

Zumindest bei der Deutschen Bahn ist man guter Dinge, dass die Vereinbarung juristisch wasserdicht ist. „Sonst würden wir es ja nicht machen“, sagte DB-Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg auf Nachfrage bei der Vorstellung. Gespielte Selbstsicherheit oder tatsächliche Überzeugung? Es ist zumindest nicht sehr wahrscheinlich, dass jemand klagt.

Das ist möglicherweise auch erst der Anfang. Bereits jetzt fordern erste Lokalpolitiker, es müsse auch Fernverkehr in Bremerhaven geben. Ein aus München kommender und in Bremen endender ICE böte sich an. Für die privaten Marktspieler sind das keine guten Aussichten. Die Nordwestbahn fährt beispielsweise in einem Bruttovertrag mit Anreizregelung: Obwohl das unternehmerische Risiko formal beim Aufgabenträger liegt, sind Bonus- und Maluszahlungen vorgesehen, wenn sich das Fahrgastaufkommen verändert.

Kerßenfischer: „Es steht zu befürchten, dass die Leistungsausweitungen, die Teil dieses Konzeptes sind, auf Kosten unserer Regio-S-Bahn-Linien gehen. Von daher wird auch unsere Tarif- und Vertriebskooperation mit der DB berührt.“

Das Osnabrücker Unternehmen betreibt neben der Regio-S-Bahn noch weitere Nahverkehrszüge zwischen Bremen und Oldenburg. Mit denselben Fahrscheinen wird bald auch ein aus Regionalisierungsgeldern mitfinanzierter InterCity zu nutzen sein. „Das irritiert uns“, so Kerßenfischer. „Schließlich haben die Aufgabenträger stets angekündigt, den Fernverkehr nicht alimentieren zu wollen.“

Auch die LNVG kann jeden Euro nur einmal ausgeben. Das Geld, das in bestellten Fernverkehr fließt, ist für die Flächenerschließung gedacht. Und genau da hat man den nächsten Klops zu schlucken. In Niedersachsen gibt es bereits seit längerem Diskussionen um einen Halbstundentakt auf dem Haller Willem. Das ist eine Bahnstrecke, die die Deutsche Bundesbahn einst stillgelegt hat und die nach der Bahnreform reaktiviert wurde. Die Nordwestbahnfährt mit großem Erfolg. Auch eine mögliche Reaktivierung zwischen Esens und Norden ist im Gespräch – wenn genug Geld da ist, den Betrieb zu finanzieren.

Es wäre betriebsblind, nicht anzuerkennen, dass die Aufgabe der dogmatischen Trennung zwischen Nah- und Fernverkehr auch Vorteile hat. Selbstverständlich können Fahrgäste davon profitieren. Im Grundgesetz ist jedoch seit der Bahnreform verankert, dass der Bund die Pflicht hat, den Verkehrsbedürfnissen auf der Schiene jenseits des Regionalverkehrs Rechnung zu tragen – nicht die Länder.

Die SPNV-Besteller scheinen denselben Fehler zu machen, der ihnen bereits bei der Abschaffung des InterRegio unterlaufen ist. Statt hart zu bleiben und auf Hauptrelationen nur die Züge anzubieten, die dort schon immer im Nahverkehr liefen, hat man Ersatzleistungen bestellt. Mittlerweile zumindest zwischen Bremen und der Nordsee in einem zugunsten der DB AG abgeschotteten Markt.

Ins selbe Horn stößt auch Wolfgang Meyer, Präsident des Privatbahnverbandes Mofair. Es sei „keine Lösung für die Antwort auf die grundsätzliche Frage, welche Frage, welche Fernverkehrsangebote in den Randlagen benötigt und wie sie finanziert werden. Vielmehr wird deutlich, wie willkürlich die Abgrenzung von Fernverkehr zu Nahverkehr ist. Gleichzeitig zeigt sich, dass Deutsche Bahn und Politik Abschied nehmen von der Lebenslüge, dass der Fernverkehr immer eigenwirtschaftlich ist.“

Wenn es schon subventionierten SPFV gibt, dann sei es notwendig, alle Eisenbahnverkehrsunternehmen davon profitieren zu lassen. Meyer: „Erst muss der Bedarf an Eisenbahnverkehr definiert werden, dann erst kann darüber entschieden werden, wie er zu erbringen ist, als Nah- oder Fernverkehr, und zuletzt darüber, ob und welche Zuschüsse er braucht.“

Die Eigenwirtschaftlichkeit des SPFV war zum Zeitpunkt der Eisenbahnreform ein Stück weit auch ein Zugeständnis an die neu gegründete DB AG, die gestern noch Bundesbahn war: Im Nahverkehr wurde sie quasi „über Nacht“ vom hoheitlichen Organisator zum Lohnkutscher degradiert und musste sich auf ihrem eigenen Netz mit Konkurrenz rumärgern.

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die in den 70er Jahren eingeführte Zuggattung InterCity das Gesamtdefizit der Deutschen Bundesbahn um jährlich rund 500 Millionen Mark gesenkt hat, entstand der Eindruck, deutschlandweiter verlässlicher Fernverkehr könne sich eigenwirtschaftlich betreiben lassen. So ließ man ihr das Monopol. Und das Verhalten vieler Aufgabenträger und Landesverkehrspolitiker trägt nicht zur Veränderung dieses Missstandes bei.

Bild: NordWestBahn

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