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Belastungen durch Lärm und Erschütterungen im Mittelrheintal durch Güterzüge

13.08.11 (Allgemein) Autor:Test Kunde

Die Menschen im Mittelrheintal leiden unter dem immer zunehmenden Lärm der Güterzüge, die teilweise nur wenige Meter an ihren Wohnhäusern vorbeifahren. Zwei neue Erschütterungsmessungen des Landesamtes für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht vom Mai und Juni 2011 in Wohnhäusern in Osterspai und Boppard zeigen, dass im Mittelrheintal nicht nur die Belastung der Bevölkerung durch Lärm, sondern auch die Belastung durch Erschütterungen deutlich zu hoch ist: Die in den beiden Wohngebäuden festgestellten Beurteilungs- Schwingstärken von 0,11 und 0,23 überschritten den bei oberirdischen Schienenstrecken zulässigen Anhaltswert von 0,07 bis zum dreifachen.

Während der Vorbeifahrt fast aller Güterzüge schwankte die Erschütterungsintensität laut Messergebnissen stark. Solche starken Schwankungen der Intensität zeigen bei Anlagen und Maschinen üblicherweise schlechte Wartungszustände oder Defekte an. Bei einer Messung traten extreme Schwingungen auf, die nach Ansicht des Landesamtes auf einen Defekt an einem der Waggons hindeuten.

Umweltministerin Ulrike Höfken: „Ich appelliere an die Bahn und den Bund, das „10-Punkte- Programm leises Rheintal“ endlich ernst zu nehmen. Wir brauchen dringend ein Lärmmonitoring des Bundes an hoch belasteten Güterverkehrsstrecken, schon um defekte oder schlecht gewartete Waggons rechtzeitig zu entdecken.“ In der Schweiz wird auf gesetzlicher Basis bereits seit 2003 die Umrüstung auf lärmarme Verbundstoffbremssohlen durch ein Netz von Lärmmessstationen überwacht, ähnlich in Österreich und den Niederlanden.

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Infrastrukturminister Roger Lewentz betont: “Die in Deutschland erst für Ende 2012 angekündigte Einführung lärmabhängiger Trassenpreise ist längst überfällig.“ Lewentz ist zudem überzeugt, dass längerfristig eine Güterzugstrecke abseits des Mittelrheintals notwendig ist, um bei dem zu erwartenden Zuwachs an Güterverkehr eine nachhaltige Entlastung des Tals zu erreichen.

Durch den abrupten Pegelanstieg der schnellen Güterzüge ist deren Lärm auch weitaus schlafstörender als Fluglärm und Straßenverkehr, wie zuletzt eine Studie der Deutschen Luft- und Raumfahrtgesellschaft zeigt. „Der „Schienenbonus“, der der Bahn erlaubt, fünf Dezibel mehr Lärm zu verursachen als andere Verkehrsträger, muss für die Nacht sofort gestrichen werden“, fordert die Ministerin deshalb weiter mit Blick auf den im Bundesrat bereits am 15.März 2011 einmütig gefassten Beschluss.

Neben der Unterstützung aus der Rheinland-Pfälzischen Landesregierung erhält die Initiative Pro Rheintal jetzt auch Rückenwind aus Brüssel. „Das ist ein großer Tag für unsere Region“, sagt Frank Gross, Vorsitzender von Pro Rheintal. Denn Siim Kallas, Vizepräsident der Europäischen Kommission und Kommissar für Verkehr, bestätigte jetzt in einem persönlichen Schreiben, dass die Mitgliedstaaten von der EU ermächtigt wurden, in Lärmbrennpunkten Maßnahmen zu ergreifen, um die Bevölkerung zu schützen. Außerdem, so heißt es in dem Brief, befürwortet die Kommission die lärmabhängigen Trassenpreise. Mehr noch: die EU-Kommission sieht es, basierend auf der Richtlinie 2008/57/EG, bereits heute als möglich an, dass die Mitgliedstaaten die in der TSI Lärm (Technische Spezifikation für Interoperabilität Lärm in der EU) vorgesehenen Lärmgrenzwerte auch auf vorhandene Fahrzeuge anwenden.

Damit sind die von Pro Rheintal vorgebrachten Forderungen einer schnellen Umrüstung veralteter Waggons sowie eines qualifizierten Nachtfahrverbotes von Seiten der EU legitimiert. Frank Gross dazu: „Jetzt liegt es einzig und allein an der Bundesregierung, ob sie die legitimen Forderungen der Anwohner weiter ignoriert oder sich ihren Pflichten stellt, nach dem Grundgesetz Leben und Eigentum zu schützen.

Gross hatte sich nach enttäuschenden Antworten aus dem Bundes­ministerium für Verkehr in einem weiteren Schreiben an die Bundes­tagsabgeordneten gewandt. Darin forderte er die Abgeordneten aller Parteien noch einmal auf, sich gemäß ihren eigenen Anträgen für eine sofortige Verwirklichung von mehr Lärmschutz im Rheintal einzu­setzen. Neueste Messergebnisse an der Strecke hätten noch einmal bestätigt, dass die Lärm- und Erschütterungswerte im Oberen Mittelrheintal eine absolute Ausnahmesituation darstellten, die mit keinem anderen Ort in Deutschland oder Europa auch nur annähernd vergleichbar sei.

Lärm als gesundheitliche Bedrohung erfülle hier alle Bedingungen einer zwangsläufigen Schädigung. Dies habe sowohl mit den außergewöhnlich hohen Lärmpegeln als auch mit der ununter­brochenen Folge von Lärmereignissen bei Tag und in der Nacht zu tun. Grund dafür seien die besondere Topografie (Widerhall und Verlängerung der Lärmereignisse), der gebogene Verlauf der Trassen (doppelt laut) und die Tatsache, dass hier quasi vier Trassen nebeneinander liegen, die lediglich durch die schallharte Wasser­oberfläche des Rheins getrennt sind.

Dadurch sei Bahnlärm ohne Pause zu hören und zu spüren. Direkt an den Häusern würden Spitzenpegel von mehr als 100 dB(A) gemes­sen und zusätzlich seien Erschütterungen zu spüren, deren Intensität oft die Grenzwerte um das Dreifache überstiegen. Der Pro-Rheintal-Vorsitzende sieht die gesundheitliche Belastung als vergleichbar mit Gefahren wie EHEC oder Radioaktivität. Denn solche Lärmwerte ließen den Körper permanent Stresshormone erzeugen, welche die Blutgerinnung und die Organe beeinflussen und zu lebensbedroh­lichen Folgen wie Bluthochdruck und Herzinfarkten führen.

Die Ursache für diese katastrophale Situation, so Gross, sei nicht der normale Bahnverkehr, den die Bürgerinitiativen begrüßten und als absolut prioritär und notwendig anerkennen würden. Es ginge vielmehr um technisch veraltete und defekte Fahrzeuge sowie schlecht gewartete Schienen. Der Gesetzgeber, obgleich über die Gefahren und Kosten bestens informiert, sei gleichzeitig aber auch In- und Teilhaber der Bahn und gehe daher äußerst nachsichtig und mild mit der Bahn um. Die Folgen seien katastrophale Bedingungen entlang der Trassen mit enormen gesundheitlichen und wirtschaft­lichen Folgen. Hier gehe es nicht um die Abwägung von Interessen zwischen den Bahnbetreibern und der Bevölkerung, sondern hier handle es sich schlichtweg um eine Verletzung der Grundrechte auf Schutz des Lebens und des Eigentums.

Gross appellierte an die Abgeordneten, sich dafür einzusetzen, dass die in der TSI Lärm vorgeschriebenen Grenzwerte zum Schutz von Schlaf während der Nacht nicht erst in acht oder zehn Jahren, sondern bereits heute, jetzt und sofort eingehalten werden. Dies sei rechtlich, technisch und auch logistisch möglich und politisch und menschlich unumgänglich, wenn nicht Moral und gute Sitten gänzlich

über Bord gehen sollten. Im Grunde sei es nichts anderes als die konsequente Anwendung des Projektes „Leiser Rhein“, das schon mehrfach von der Bundesregierung angekündigt worden sei, ohne dass man bisher auch nur einen einzigen alten Güterwaggon damit von den Trassen geholt hätte.

Durch den starken Anstieg im grenzüberschreitenden Transitverkehr, der aufgrund der zunehmenden Wettbewerbssituation immer kosten­günstiger und schneller ablaufen müsse, nehme die Zahl der oftmals 50 oder 60 Jahre alten Fahrzeuge mit technischen Defekten an den Rädern rasant zu. Dadurch stiegen auch der Lärm, die Erschütte­rungen und die Gefahren für weitere Verkehrs- und Umweltkata­strophen durch Zugunglücke, beispielsweise auch mit hochexplosiven und umweltgefährdenden Stoffen. Die EU habe mit der TSI Lärm ein Instrument für Güterwaggons und Lärm geschaffen (zwei verschie­dene Richtlinien), das es anzuwenden gelte, um Schaden von den Menschen und der Region abzuwenden und um ein funktionierendes Eisenbahnsystem zu garantieren.

Bild: Pro Rheintal

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