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Zu spät, aber dennoch richtig

08.07.21 (Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Nachdem man über anderthalb Jahre ergebnislos verhandelt hat, wie man die strukturellen Kostensteigerungen auffangen kann ohne den Fortbestand zahlreicher Unternehmen in der Branche zu gefährden, hat das erste Unternehmen nun ein Schutzschirm-Verfahren eröffnet und am nächsten Morgen kommt der Bundesverband Schienennahverkehr mit dem neuen Lohnkostenindex um die Ecke. Also mit genau der Tabelle, um die man in der Branche solange gekämpft hat, weil sie die tatsächlichen Kostensteigerungen zumindest im Bereich der Lohnerhöhungen abbilden soll.

Warum ist das nicht ein halbes Jahr oder ein Jahr eher gelungen? Ist es wirklich Zufall, dass die Veröffentlichung genau einen halben Tag später erfolgt? Wir wissen es nicht, da dann kann man nur spekulieren. Es ist aber zumindest ein bemerkenswerter Zeitpunkt. Zunächst einmal heißt es für künftige Verkehrsverträge, dass man bestimmte Risiken nicht einzig und allein dem Auftragnehmer aufbürden kann.

Aktuell fangen sukzessive in ganz Deutschland die Sommerferien an und zahlreiche Strecken werden für mehrere Wochen dauerhaft gesperrt oder zumindest nur eingeschränkt befahrbar sein. Es müssen Schienenersatzverkehre organisiert werden, das Personal ist verändert zu disponieren und die Zahl der zu erbringenden Zugkilometer sinkt bei fixen und steigenden Kosten.

Ein ganz konkretes Beispiel: Vom morgigen Freitag an wird es eine Vollsperrung zwischen Siegen und Kreuztal geben, die mit weit über drei Wochen veranschlagt ist. Bereits seit einer Woche und noch bis Mitte August wird der NRW-Express zwischen Köln und Düsseldorf über Opladen umgeleitet, Ersatzverkehre muss das Verkehrsunternehmen organisieren und bezahlen. Das sind Dinge, die kann man nicht dauerhaft nur einem aufbürden, sondern hier muss man Risikoaufteilungen finden, die für alle akzeptabel und kalkulierbar sind.

Denn wenn man tatsächlich bis 2030 zusätzliche elf Milliarden Euro von der öffentlichen Hand fordert, dann muss man verhindern, dass gleichzeitig die Leistungserbringer am langen Arm ausgehungert werden. In neuen Verträgen dürfte man sicher dazulernen und die sind vermutlich auch für die Unternehmen interessant, die jetzt in die roten Zahlen gelaufen sind.

Aber man muss sicherstellen, dass die Unternehmen in fünf oder zehn Jahren noch da sind. Der jetzt endlich vorliegende Lohnkostenindex ist schon ein Schritt in die richtige Richtung. Denn vergessen wir nicht: Die Tarifverträge zwischen den Unternehmen und den Gewerkschaften sind nicht deren Privatvergnügen, sondern sie stellen sicher, dass es überhaupt ausreichend Personal gibt.

Denn die viel zitierten Leistungsausweitungen sind momentan allesamt völlig ausgeschlossen, weil nicht genügend Mitarbeiter da sind. Monatelange Streiks kann auch keiner haben wollen. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, dafür zu sorgen, dass laufende Verkehrsverträge nachgesteuert und neue Verkehrsverträge den Erfahrungen entsprechend vergeben werden. Damit können wir dann auf die starke Schiene setzen.

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