Markt vor Staat!
19.06.17 (Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld
Hat nicht erst vor ein paar Wochen der Kanzlerkandidat der SPD darüber schwadroniert, dass „Großkonzerne“ die Möglichkeit haben, ihre Gewinne in Steueroasen zu verschieben, während „der Bäcker an der Ecke“ brav seine Steuern für den Bundesfinanzminister zahlt? Nun soll an dieser Stelle gar keine Bewertung über die Ernsthaftigkeit einer solcher Aussage erfolgen, aber die Debatte über solche Duty-Free-Standorte ist nicht neu und nach wie vor allgegenwärtig.
So gesehen hat man bei der SPD hier eine Stimmung aufgenommen, die ohnehin da ist. Dass man aber Unternehmen im kommunalen Eigentum von der Umsatzsteuer befreit, ohne dass es jemanden stört, zeigt wie verzerrt die Wahrnehmung über weite Strecken ist. Das gilt übrigens, um über den ÖPNV-Tellerrand einmal hinauszublicken, ganz generell.
Im Zusammenhang mit der Energiewende ist immer wieder die Rede von „den Atomkonzernen“. Dass EN.BW vollständig im Landeseigentum in Baden-Württemberg ist und dass e.on und RWE mit vielen Kommunen und Stadtwerken Aktientauschgeschäfte gemacht haben, geht dabei unter. Im Ruhrgebiet kann man sehen, dass die sinkenden Dividenden bei „den Atomkonzernen“ die mittelfristige Finanzplanung bei Stadt und Stadtwerken komplett über den Haufen geschmissen haben.
Von den direkten Beteiligungen der Stadtwerke etwa in Bielefeld oder München an Kernkraftwerken ganz zu schweigen. Und ja, Stadtwerke sind aus sich heraus unkalkulierbare Haushaltsrisiken – auch im ÖPNV. Ein Extrembeispiel wie etwa die Tatsache, dass die Berliner Verkehrsbetriebe AöR in einem hochspekulativen Geschäft einen dreistelligen Millionenbetrag verzockt hat, sei hier nur am Rande angemerkt. Der Alltag ist das, was Probleme macht.
Aktuell wurde in Wuppertal die Auslieferung neuer Schwebebahn-Triebzüge gestoppt, weil es einen Zwischenfall gegeben hat – am Ende wurden Schrauben auf dem Gerüst gefunden. Noch kann man den Hersteller mit ins Boot holen und das ganze als Garantiefall einordnen. In fünf Jahren ist dieser raus und die Stadtwerke müssten dann sehen, was sie machen. Die Expertise des Herstellers ließe sich dann nur teuer extern einkaufen.
Wenn ein Hersteller für die ordnungsgemäße Verfügbarkeit seiner Fahrzeuge dauerhaft verantwortlich ist und bleibt, entstehen wartungsfreundlichere Fahrzeuge und der Hersteller müsste so ein Problem auch in zehn Jahren noch lösen. Im Gegenzug besteht nicht die Möglichkeit, den Betreibern teure Ersatzteile zu verkaufen. Nun sind marktwirtschaftliche Strukturen im kommunalen ÖPNV nicht per se mit Herstellerwartung gleichzusetzen.
Aber bei auftretenden Risiken hat der private Betreiber ein Problem, das er lösen muss. Wenn also zusätzliche Kosten entstehen, dann muss das Unternehmen, das fährt, dafür aufkommen. Der Preis für den Besteller bleibt konstant. Besonders grotesk ist, dass die Leute, etwa beim VDV, die immer vor Risiken für Kommunen warnen, die gleichen sind, die die bestehenden Haushaltsrisiken Stadtwerke protegieren wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Was bei der Eisenbahn gut ist, geht auch bei der Tram: Markt vor Staat!
Siehe auch: BDO beteiligt sich an Verbändeallianz