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Überfüllte Fernzüge zur Ferienzeit: Bestellter SPFV muss her!

24.07.11 (Fernverkehr, Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

InterCity in Berlin auf einer Spreebrücke„Früher gab es Entlastungszüge zur Urlaubszeit. Heute gibt es Stehplätze“ sagte ein wütender Fahrgast am letzten Freitag im InterCity aus dem Ruhrgebiet zum Timmendorfer Strand. Dabei war der Zug gar nicht wirklich überfüllt: Klar, die Sitzplätze waren belegt und einige Leute mussten stehen. In jüngster Vergangenheit ist es aber auch immer wieder vorgekommen, dass die Bundespolizei überfüllte Züge räumen musste.

Das gab – wie so oft – Anlass zu übler Schmähkritik an der Deutschen Bahn. Erst verkaufe das Unternehmen viel zu viele Fahrkarten, um die zahlenden Kunden dann rauswerfen zu lassen. Überteuert seien die Preise sowieso und überhaupt brauche man das Geld, um im Ausland Arriva zu kaufen. Doch statt es bei publikumswirksamen Sprüchen zu belassen, wird es Zeit, sich Gedanken zu machen, welche politischen Fehlsteuerungen ursächlich sind und wie man so etwas verhindern kann.

Der Fernverkehr wird, anders als der Regionalverkehr, von der Deutschen Bahn eigenwirtschaftlich betrieben. Es gibt keine Subventionen vom Staat und die Fahrgeldeinnahmen müssen die Kosten decken. Jetzt kann man über Reservierungspflicht sprechen, ähnlich wie es im Flugverkehr der Fall ist: Und wenn alle Sitzplätze belegt sind, werden keine Karten mehr verkauft.

Doch tatsächlich ist es ja nicht falsch, dass eine hohe Auslastung für die Deutsche Bahn finanziell attraktiv ist. Ein Zug, in dem drei Leute einen Waggon für sich alleine haben, der mag zwar für Fahrgäste nett sein, aber aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist so etwas völlig untragbar. Die Deutsche Bahn muss Geld verdienen. Wenn man sich also beschweren möchte, dann muss man die Struktur des Fernverkehrs in Frage stellen.

Beispiel Urlaubszüge: Diese müssten angeschafft und vorgehalten werden. Bei der Deutschen Bundesbahn, als die Rollmaterialbestellung vor allem davon abhing, Arbeitsplätze in der Waggonbauindustrie zu erhalten, lag die Sache da anders: Geld spielte keine Rolle, die Bundesbahn hat es sich beliebig am Kapitalmarkt geliehen. Die Kredite von damals bedient noch heute das Bundeseisenbahnvermögen: 2011 schlägt es im Bundeshaushalt mit knapp sechs Milliarden Euro zu Buche.

Mit der Bahnreform wurden Regional- und Fernverkehr getrennt: Während die Länder den Regionalverkehr bei DB Regio oder auch anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen bestellen, ist der Fernverkehr eigenwirtschaftlich. Das hat zwei Gründe: Zum einen hat die in den 70er Jahren eingeführte Zuggattung InterCity das Gesamtdefizit der Deutschen Bundesbahn um rund 500 Millionen Mark im Jahr gesenkt. Zum anderen war es auch das Zugeständnis an die Bahn selbst: Während sie im Nahverkehr quasi „über Nacht“ vom hoheitlichen Organisator zum Lohnkutscher degradiert worden ist, der sich auf seinem eigenen Netz mit Konkurrenz rumschlagen musste, sollte sie wenigstens im Fernverkehr Gestaltungsfreiheit behalten.

Das hat sich als Flop erwiesen. Nachdem der InterRegio wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt wurde, wurde im nächsten Schritt der InterCity wurde immer weiter ausgedünnt. Die Zukunft dieser Zuggattung ist fraglich, vor allem abseits der Hauptmagistralen. Allerdings hat sich hier von Mehdorn zu Grube einiges geändert. Während Hartmut Mehdorn alles eingestampft hat, was nicht genug Gewinn gebracht hat, versucht Rüdiger Grube hier, Leistungen wirtschaftlicher zu machen und somit zu erhalten.

Dabei haben natürlich gerade Leistungsausdünnungen, Streckenstilllegungen und Betriebseinstellungen in der Geschichte der deutschen Nachkriegseisenbahn große Tradition: Die Deutsche Bundesbahn hat mit ihrer Stilllegungspolitik einen Schaden angerichtet, den zu beheben noch Generationen dauern wird.

Doch Ansätze, dass die Nahverkehrsbesteller sich finanziell an unwirtschaftlichen InterCity-Zügen beteiligen sollen, wären allenfalls aus Sicht der Deutschen Bahn sinnvoll. Man scheint aus der Abschaffung des InterRegio gelernt zu haben: Die meisten früheren InterRegio wurden durch bestellte Nahverkehrszüge ersetzt. Diese konnte die Deutsche Bahn weiterbetreiben, hoch subventioniert und ohne unternehmerisches Risiko. Doch mit dem Wettbewerb im Nahverkehr verlor man immer mehr Leistungen an private Wettbewerber.

Das würde nicht passieren: Die Fernverkehrsleistungen würden ja formal eigenwirtschaftlich bleiben und gegen Ausgleichszahlungen der Aufgabenträger wären sie für Nahverkehrskunden freigegeben. Die Deutsche Bahn hätte keinen Wettbewerb zu befürchten. Ob das aber aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sinnvoll wäre, steht auf einem anderen Blatt.

Wer braucht schon Züge, die man nur zur Urlaubszeit oder bestenfalls freitags und sonntags einsetzen kann? Während das heutige Rollmaterial des Fernverkehrs größtenteils als Erbe der Bundesbahn rumsteht und kein Brot frisst, wird das spätestens mit der nächsten Generation Fernzüge anders aussehen. Und dann? Werden Urlauber dann regelmäßig von der Bundespolizei aus den Zügen geholt? Natürlich nur einmal, danach fahren sie für den Rest ihres Lebens mit dem Auto in die Ferien.

„Nahverkehr ist Daseinsvorsorge“ heißt es immer. Aber was ist Fernverkehr? Ist nicht der Personenverkehr auf der Schiene insgesamt Daseinsvorsorge? Ja, das ist er. Der Bund hat die Pflicht, die Verkehrsbedürfnisse auf der Schiene, so sie nicht den SPNV betreffen, zu befriedigen. So steht es im Grundgesetz.

Der Bundesrat hat einst ein Fernverkehrssicherungsgesetz beschlossen: Der Bund sollte in allen Oberzentren, die über einen Schienenanschluss verfügen, mindestens sechs Zugpaare am Tag halten lassen. Die Anzahl der Zugkilometer im SPFV dürfe zudem nicht die des Jahres 2007 unterschreiten. Allerdings wurde es nie im Bundestag debattiert, vermutlich ist es auf dem Postweg verloren gegangen.

Aber für ein angemessenes Angebot, das komfortables Reisen auch zur Urlaubszeit, auch als Wochenendpendler, auch im Berufsverkehr gewährleistet, braucht es bestellten Fernverkehr. Der Bund hat die Pflicht dazu. Die Bundesregierungen, ganz gleich ob unter Schröder oder Merkel, waren der Auffassung, dass per definitionem überall da kein Verkehrsbedürfnis notwendig ist, wo die Bahn nicht eigenwirtschaftlich fahren möchte.

Doch so einfach ist es nicht! Wer einen guten SPFV, auch abseits von Schnellfahrstrecken und Magistralen will, der muss dafür zahlen. Dafür gibt es ein Steueraufkommen und dafür ist der Staat zur Daseinsvorsorge verpflichtet. Denn mit ausreichend Ersatzrollmaterial lassen sich Probleme wie Winter- und Urlaubschaos vermeiden.

Doch dazu gilt es auch, vor Ort bereits hart zu bleiben: Wenn ein Aufgabenträger bereitwillig InterRegio- und InterCity-Ersatzleistungen bestellt, und dafür die Nebenbahn vernachlässigt, dann kräht kein Hahn danach. Erst wenn auf den ersten einstigen Fernverkehrsstrecken nur noch Züge zur Flächenerschließung fahren, wird die Politik handeln. Die Regionalisierungsgelder sollten daher für ihren eigentlichen Verwendungszweck genutzt werden: Den Nahverkehr und kein Fernverkehrsersatz.

Bild: Deutsche Bahn AG

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