Fortschritt und Entwicklung unterstützen
10.10.22 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Vollautomatisierte Züge, also solche, die selbst und ohne Fahrer unterwegs sind, kennen wir in Deutschland üblicherweise immer dann, wenn es mal wieder GDL-Streiks gibt. Sobald ein Tarifkonflikt etwas länger dauert, fängt die DB AG an zu erzählen, dass man die Forschungsaufwendungen für eine vollautomatisierte Eisenbahn gerade wieder erhöht habe.
Im Grunde müsste man nur alle Triebfahrzeugführer einer speziellen GmbH zuordnen, diese dann verkaufen und den Vertrag mit der dann nicht mehr zum Konzern gehörenden Firma kündigen und schon sind alle vermeintlich besonders streikwütigen Lokomotivführer für immer arbeitslos. Außerhalb von Streiks wundert man sich dann, wieso junge Leute sich gegen eine Karriere bei der Eisenbahn entscheiden, wo man doch angeblich schon in naher Zukunft durch den Kollegen Computer ersetzt wird.
Aber genau dieser real existierende Personalmangel ist einer der Gründe, wieso die Digitalisierung und Automatisierung jetzt schneller vorangetrieben werden muss: Weil viele Unternehmen eine überalterte Belegschaft haben und es nicht schaffen werden, die in den Ruhestand gehenden Mitarbeiter alle zu ersetzen. Von Leistungsausweitungen oder gar einer Verkehrswende ist dabei noch gar nicht die Rede.
Wir erinnern uns: Das offizielle Ziel ist immer noch, die Zahl der Fahrgastfahrten im gesamten öffentlichen Verkehr der Bundesrepublik bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln. Dieses Ziel wird zwar mit der sich verschärfenden Eisenbahnkrise immer absurder, dennoch hält man daran fest. Hier kann dann z.B. eine automatisiert fahrende U-Bahnlinie dafür sorgen, dass die knappen Personalressourcen anderweitig eingesetzt werden.
Fahrpersonal kann dann dort arbeiten, wo man es nicht so ohne weiteres durch Automatisierung ersetzt, etwa im Busbereich bei der Hochbahn aber auch im Eisenbahnwesen. Es gibt eben doch einen Unterschied zwischen einem in sich geschlossenen U-Bahnnetz und der große Eisenbahn. Es ist einfach nicht realistisch, dass man irgendwo auf der freien Strecke z.B. einen Personenunfall hat und dann steht da ein Zug ganz ohne Betriebspersonal und die Fahrgäste müssen womöglich mehrere Stunden warten, bis ein Notfallmanager mit dem Auto kommt.
Das sieht im urbanen Schienenverkehr anders aus. Dass es geht, sieht man ja seit längerem bereits auch in Nürnberg. Gut, Nürnberg hat eine Nähe zum Hersteller Siemens, der seine vollautomatisierten Anlagen natürlich auch in die ganze Welt verkaufen möchte und in Nürnberg zeigen kann, dass es geht.
Auch das ist ein wichtiger Punkt, der dafür spricht: Wir können beim Export unserer Technologie damit werben, dass wir eigene urbane Schienennetze haben, in denen wir genau das zur Anwendung bringen, was in den Rest der Welt exportieren möchten. Deswegen ist es doch auch eine schöne Symbolik, dass gerade in Hamburg, dem Tor zur Welt, demnächst eine automatische U-Bahn fährt, zumindest auf einer Linie. Und der dann mögliche Neunzig-Sekunden-Takt zeigt, wie leistungsfähig die Schiene gerade in der Metropole sein kann.
Siehe auch: Hamburg: Spatenstich zum U5-Ausbau
Foto: Hamburger Hochbahn AG