Neigetechnik kommt noch nicht in Schwung
14.07.11 (Allgemein) Autor:Sven Steinke
Zum Fahrplanwechsel am 12. Juli 2011 kündigte DB Regio an, auf vielen Linien die mit Triebzügen der Baureihen VT 611 und VT 612 befahren werden, die Neigetechnik wieder in Betrieb nehmen zu wollen. Obwohl die kürzeren Fahrzeiten der Linien schon in die Fahrpläne eingearbeitet wurden, fahren noch längst nicht alle vorgesehenen Züge mit dem System. So kommt es auf vielen Linien zu Verspätungen, da die Züge ohne das System, Kurven nur langsamer durchfahren dürfen.
Unteranderem wurde angekündigt, dass die IRE- bzw. RE-Linien Stuttgart – Aulendorf, Basel – Ulm, Würzburg – Erfurt, Saalfeld – Lichtenfels wieder mit dem System verkehren sollten. Momentan ist das allerdings ein reines Glücksspiel. Mal fahren die Züge mit Neigetechnik, das andere Mal wiederum nicht, abhängig von der Fahrzeugzusammensstellung. Für den Kunden ist das besonders ärgerlich, da er im Vorfeld nicht weiß, ob sein Zug pünktlich verkehren wird und er die kurzen Anschlüsse in den Knoten erreicht.
Auf überwiegend eingleisigen Strecken, wie beispielsweise die Strecken Erfurt – Würzburg und Stuttgart – Aulendorf kommt noch das Problem hinzu, dass Züge ohne Neigetechnik, die Fahrzeiten zwischen den Kreuzungsbahnhöfen nicht mehr halten können und dort dann ihre Verspätung auf den nächsten Gegenzug übertragen. So werden die Strecken über den ganzen Tagesverlauf aus dem geregelten Betriebsablauf geworfen und der Fahrplan durcheinander gebracht.
Die Deutsche Bahn schlägt sich bereits seit 15 Jahren mit den Triebzügen der Baureihen VT 611 und VT 612 des Herstellers Adtranz ab 2003 Bombardier Transportation herum. Das Unternehmen schafft es seit 1996 nur sporadisch das System an den Fahrzeugen in Betrieb zu halten. Immer wieder kommt es zu jahrelangen Abschaltungen, wenn Fehler an den verbauten Komponenten auftreten.
Dabei laufen die Neigetechnikzüge der Baureihe VT 610 mit dem von FIAT entwickelten hydraulischen Pendolino-System in Nordostbayern zwischen den Städten Nürnberg, Hof, Bayreuth, Weiden und Regensburg verhältnismäßig zuverlässig. Auch das elektrische Neigetechniksystem in den Bombardier Triebzügen, würde zuverlässig laufen, wenn nicht ständig fehlerhafte oder falsch dimensionierte Komponenten und Zulieferteile die Abschaltung erfordern würden.
Mal weisen die Radsätze Risse auf oder der Hersteller der Antriebe für die Neigetechnik zieht seine Gewährleistung zurück oder es wurde eine fehlerhafte Charge von Antriebsspindeln verbaut. Jedes Mal kommt es zu Verspätungen und es müssen Ersatzfahrpläne eingeführt werden. Das ständige Hin und Her bei den Fahrplänen trägt nicht gerade zur Attraktivitätssteigerung des Angebotes bei und auch die Aufgabenträger stecken in der Zwickmühle. Einige wie der SPNV Nord und ZSPNV Süd sind mittlerweile soweit, dass sie sich schon in naher Zukunft komplett von dem System verabschieden möchten.
Auch Ausschreibungen die den Einsatz von Neigetechniktriebzügen vorschreiben sind problematisch. So ist in der Vergangenheit in Bayern die Ausschreibung der Ersatzverkehre für die IR-Linie 25 fehlgeschlagen, weil sich kein Bieter für das Netz fand. Heute fährt dort die Länderbahn unter der Marke ALEX mit altem Wagenmaterial. In Thüringen musste kürzlich erst der große Verkehrsvertrag für die Neigetechniklinien bis 2021 verlängert werden, da am Fahrzeugmarkt keine passenden Fahrzeuge verfügbar sind.
So ist die Euphorie aus den neunziger Jahren mittlerweile verflogen und das System sehr in Verruf geraten, obwohl es auf vielen Strecken eine attraktivere Fahrplangestaltung bei niedrigen Investitionskosten ermöglicht.