Risiken vernünftig abwägen
13.02.23 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Sie alle rufen Dekarbonisierung, sie verteufeln den Diesel auf der Schiene und sehen nicht, dass Dieselzüge und Dieselbusse nicht Teil des Problems, sondern bereits Teil der Lösung sind. Der spezifische Ausstoß von Schadstoffen pro Fahrgast beträgt ein Bruchteil dessen, was ein Auto ausstößt (selbst wenn man Fahrgemeinschaften bildet) und für CO2 gilt das genauso.
Im Gegensatz zu Stickstoffoxiden (NOx) und auch anders als Kohlenstoffmoxid (CO) ist CO2 nämlich ungiftig. Jetzt geht man also im Westerwald den Weg, dass man sowohl batteriebetriebene Züge als auch Wasserstoffzüge auf die Schiene bringt. Dabei ist es durchaus richtig, dass die Eisenbahnbranche die Wissenschaft und die Forschung auch in der Praxis unterstützt. Kooperationen mit Universitäten und wissenschaftlichen Instituten sorgen dafür, dass neue Erkenntnisse gleich angewandt werden können und schaffen einen regelmäßigen Austausch zwischen Theorie und Praxis.
Was wir aber seit diesem Jahrzehnt verstärkt erleben ist ein Dieselausstieg mit der Holzhammermethode, gerade auch auf der Schiene. Dabei muss das Ziel klar sein: Mehr Elektrifizierung, mehr Oberleitungen, die elektrische Traktion muss die Regel sein. Man muss dafür sorgen, dass nicht mehr ganze Linien wegen kleiner nicht elektrifizierter Abschnitte unter dem Fahrdraht in Dieseltraktion fahren. Nicht nur der Deutschlandtakt steht seit Jahrzehnten folgenlos in jedem Koalitionsvertrag, sondern auch eine bundesweite Elektrifizierungsoffensive, die aber nie kommt.
Möglicherweise sind hier auch die Aufgabenträger selbst gefordert, das unabhängig vom Bund zu finanzieren, weil sich die Verkehrsvertragskosten im Vergleich zu konventioneller Dieseltraktion relativ schnell amortisieren. Das sei alles dahingestellt. Ich warne aber ausdrücklich davor, ganze Verkehrsnetze auf Hokuspokus-Technologien umzustellen, von denen wir keine Erfahrungswerte im praktischen Alltag haben und von denen wir nicht wissen, wie sich die Fahrzeuge verhalten, wenn sie zehn, zwölf oder zwanzig Jahre alt sind.
Was passiert, wenn dann Komponenten ausgetauscht werden müssen, wenn pro Zug auf einmal mitten in der Lebensdauer Ersatzinvestitionen in siebenstelliger Höhe fällig werden? Wir sehen im RMV-Gebiet zudem gerade, wie der Umstieg auf alternative Traktionsarten eben nicht funktioniert und man froh ist, dass es noch Dieselzüge als Ersatz gibt. Wer kommt für solche potentiellen Kosten auf und sind die bereits jetzt in der Kalkulation der Verkehrsverträge mit inbegriffen?
Eins kann man sicher sagen: All die Politiker aus dem Bundestag und den Landtagen, die Bürgermeister und Landräte, die Minister und Staatssekretäre, die jetzt laut Dekarbonisierung rufen und fordern, werden alle auf Tauchstation gehen, wenn es mit solchen Wunderzügen wirklich (und vielleicht sogar erwartbar) zu Problemen kommt. Dann wird man die auf der Arbeitsebene zuständigen Stellen alleine lassen: Die Aufgabenträger, die Verkehrsunternehmen und vielleicht auch die Hersteller. Deshalb täte ein wenig mehr Realismus und Risikoabwägung allen ganz gut.
Siehe auch: Alternative Traktionsarten in Rheinland-Pfalz
Foto: SPNV Rheinland-Pfalz Nord / Tobias Vollmer