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Die nächste Generation bricht an

29.08.19 (Kommentar, Österreich) Autor:Stefan Hennigfeld

Die meisten werden mit dem Begriff x-Wagen wohl lokbespannte Wagenzüge im S-Bahnverkehr der alten Bundesbahn assoziieren. Über Jahrzehnte haben diese das Eisenbahnbild in Nürnberg und im Ruhrgebiet geprägt, erst vor ein paar Jahren sind die letzten auf dem Abstellgleis verschwunden. Und bei allem Spott, diese Fahrzeuge waren in den 1970er Jahren eine echte Innovation: Sie konnten erstmals überhaupt eine Abfertigungstechnik anwenden, bei denen man keinen Schaffner mehr brauchte.

Die breiten und bei 96 Zentimeter hohen Bahnsteigen auch barrierefreien Türen haben sichergestellt, dass Eltern mit Kinderwagen, Rollstuhlfahrer und ähnliche Kundengruppen ohne fremde Hilfe ein- und aussteigen konnten. Es waren also – und hier stehen die neuen Wiener x-Wagen in einer guten Namenstradition – echte Fortschrittszüge. Es wurde die neue Generation Nahverkehr eingeleitet mit Neuerungen, die bis dahin unbekannt waren.

Nun sind selbstfahrende Züge nicht so doll neu, aber noch immer relativ selten. Wenn wir uns aber den ÖPNV in Wien angucken, dann stellen wir fest, dass dort eine Erfolgsgeschichte geschrieben worden ist, die in Deutschland seinesgleichen sucht. Einer der Gründe ist das 365-Euro-Jahresticket. Ein anderer ist das besonders gute Angebot in der Donaumetropole. Und während man in Deutschland in guter Eisenbahnertradition genau erklären kann, wieso etwas nicht geht, hat man in Wien einen Modal Split, von dem man hier nur träumen kann.

Zwar sagen die Branchenvertreter auf Nachfrage regelmäßig, der Modal Split sei uninteressant, sondern nur die absoluten Fahrgastzahlen wären wichtig, doch das ist natürlich völliger Quatsch. Tatsächlich zeigt aber der Modal Split in Deutschland, dass die Eisenbahnbranche in den letzten Jahren nicht weitergekommen ist; zumindest bundesweit im Durchschnitt. Hier sind öffentliche Verkehrsmittel noch immer ein Randprodukt auf dem Gesamtverkehrsmarkt.

In Wien hat man eine andere Situation: Hier wächst an auf einem so hohen Niveau, dass man über einen vollautomatischen Betrieb nicht nur ernsthaft nachdenkt, sondern in die Tat umsetzt. Dafür braucht man hohe Investitionen, aber es kostet nun einmal Geld, wenn man sein Niveau nicht nur halten, sondern auch verbessern will.

Und gerade Wien widerlegt ja alle Narrative, dass man den Menschen nur das Leben schwer genug machen muss und schon lassen sie ihr Auto stehen. Das Gegenteil ist der Fall: Mit einem guten Angebot kommen die Fahrgäste, der ÖPNV muss seinen Teil dazu beitragen, er wird dann schon die Menschen anziehen. Und das wiederum macht auch den urbanen Raum lebens- und liebenswürdiger.

Ich selbst könnte mir nicht vorstellen, in irgendeiner Innenstadt ohne Natur zu leben, aber für viele ist das der Lebensmittelpunkt der Wahl. Und da muss man dann eben auch an die Lebensqualität denken. Dazu gehört unter anderem, dass man ohne Auto eine hohe Mobilitätsverfügbarkeit hat. Bislang gibt der Erfolg den Verantwortlichen in der Stadt Wien recht – und das wird auch so bleiben.

Siehe auch: Wien: X-Wagen nehmen Form an

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