Modernisierung und Personalakquise
29.08.24 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Es scheint auf den ersten Blick widersinnig, wenn ein Konzern mit massivem Personalnotstand, der zudem mitten in einer Verrentungswelle steht, auf einmal einen Einstellungsstopp verhängt. Man muss aber fairerweise dazu sagen, dass die DB AG einen teuren und ineffizienten Wasserkopf hat, der es verhindert, sich marktnah aufzustellen und der über weite Strecken nicht viel mit dem tatsächlichen Eisenbahnbetrieb zu tun hat.
Oder doch? Wo definieren wir die Grenze zwischen dem vielzitierten „direkten betrieblichen Bereich“ und dem „Wasserkopf, der nur Geld kostet“? Ist ein Disponent, der weder Züge fährt noch Weichen stellt wirklich ein Verwaltungsmitarbeiter, der nur Geld kostet? Wo fängt die Verwaltung in der Werkstatt an oder im Stellwerk? Das sind ernsthafte Frage, die sich nicht mehr so leicht beantworten lassen. Natürlich ist es notwendig, den Personalbedarf auch durch die Automatisierung und Digitalisierung zu senken.
Seit vor fast 200 Jahren der erste Zug in Deutschland gefahren ist, war die Eisenbahn immer auch sinnbildlich für Modernisierung, Fortschritt und Innovation. Selbstverständlich brauchen wir flächendeckend eine digitale Leit- und Sicherungstechnik, auch um den Personalbedarf zu senken. Doch hier ist Vorsicht geboten. Natürlich kann man ausrechnen, dass zum Zeitpunkt X so und so viele neue ESTW da sind, also braucht man in einem bestimmten Bundesland 200 Fahrdienstleiter weniger.
Das Problem ist, wenn der Zeitpunkt X dann kommt, die 200 Fahrdienstleiter sind weg und dann hat man aber die neuen ESTW noch gar nicht und den Personalmangel weiter verschärft. Solche Situationen gab es in der Vergangenheit und von außen macht es schon den Eindruck, als haben die Konzernverantwortlichen aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und gehen genau solche Wege zurecht nicht mehr.
Zumal es inzwischen ein Thema gibt, das vor zehn oder zwanzig Jahren gar nicht so auf dem Schirm war wie heute, nämlich die natürliche Fluktuation: Dass Leute nach ein paar Jahren einfach wieder gehen und weg sind. Wer aus irgendwelchen anderen Berufen zur Schiene kam, hat auch jenseits der Eisenbahn gute berufliche Perspektiven. Selbst jemand, der nach der Schule sofort einen Eisenbahn-affinen Beruf gelernt hat, kann sich umorientieren und wird an anderer Stelle gerne genommen. Neben den Diskussionen um Neueinstellungen und Personalakquise muss man also auch darüber diskutieren, wie man die Leute dazu veranlasst, zu bleiben.
Mit den jüngsten Tarifabschlüssen, die eine generelle 35-Stunden-Woche vorsehen geht man da schon in die richtige Richtung. In Zeiten, in denen die Belastung durch Notfahrpläne, höhere Baustellendichte und vieles mehr immer weiter steigt, schafft man eine verlässliche Fünftagewoche für diejenigen, die rund um die Uhr bei Wind und Wetter den Betrieb aufrecht erhalten. Gerade wenn die Leute wirklich arbeiten sollen, bis sie 67 oder älter sind, muss man gesundheitsgefährdende Belastungen reduzieren, um die Arbeitskraft bis ins fortgeschrittene Alter zu schonen.
Siehe auch: Spitzengespräche zwischen DB AG und EVG
Foto: Deutsche Bahn AG / Max Lautenschläger