Die Digitalisierung dringend vorantreiben
15.08.24 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Natürlich zeichnet das klassische mechanische Stellwerk, das seine Flügelsignale steuert, ein romantisches Bild der Eisenbahn. Doch wer die Schiene nach fast 200 Jahren ihrer Existenz fit machen möchte für die Zukunft, der muss dafür sorgen, dass elektrische und digitale Stellwerke der Standard werden. Um das mal zu veranschaulichen: Hätte die alte Behördenbahn ihre zahlreichen Nebenstrecken seit den 1960er Jahren auf Spurplan-Drucktasten-Technik umgestellt, so hätte man ein Großteil der später stillgelegten und teilweise für immer zerstörten Strecken wahrscheinlich erhalten können, weil es möglich gewesen wäre, diese nicht mehr mit vielen lokalen Fahrdienstleitern und Schrankenwärtern zu bestücken, sondern zentral zu steuern.
Man hätte massiv Personalaufwand gespart und die Kosten für so manche Strecke, die dann auch nach ihrer Reaktivierung ein echter Erfolg wurde, wären nie explodiert. Man hätte richtig viel zerstörte Eisenbahninfrastruktur bereits vor über sechzig Jahren dauerhaft zukunftsfest machen können. Das hat die Behördenbahn versäumt, aber die heute Verantwortlichen müssen sicherstellen, dass die Chancen der Digitalisierung auch genutzt werden. Wir haben heute bereits regelmäßig Streckensperrungen wegen nicht besetzter Stellwerke.
Meistens findet das im Moment nur nachts statt, sodass der Fahrgast es oft nicht merkt. Doch Vorsicht ist geboten: Denn gerade der Güterverkehr braucht das relativ kurze Zeitfenster zwischen Mitternacht und fünf oder sechs Uhr morgens, weil er dann weitgehend ungestört über das Netz fahren kann. Wir hatten aber auch schon kurzfristig unbesetzte Stellwerke an Wochentagen und genau dieses Problem wird sich weiter verschärfen. Die Verrentungswelle läuft und viele neu hinzugekommene Fahrdienstleiter verlassen das Unternehmen auch wieder.
Die Erkenntnis, dass die langfristige Bindung guter Mitarbeiter genauso wichtig ist wie die Neuakquise ist zwar grundsätzlich da, aber die Fluktuation ist nach wie vor ein Problem. Entsprechend muss man dafür sorgen, dass der Personalbedarf im Rahmen der Digitalisierung und Modernisierung sinkt. Auch hier ist Vorsicht geboten. Es gab Zeiten, da hat man ausgerechnet, dass zu einem Zeitpunkt X so und so viele neue ESTW am Netz sind, und mehrere hundert Fahrdienstleiter nicht mehr benötigt wurden. Als der Zeitpunkt X dann da war, waren die Fahrdienstleiter zwar weg, aber die ESTW noch längst nicht in Betrieb.
Auf keinen Fall darf man bei der Personalakquise das Engagement schleifen lassen, weil man ja glaubt, bald ohnehin weniger Mitarbeiter zu brauchen. Das muss weitergehen mit vollem Engagement. Man muss dafür sorgen, dass Leute langfristig im Betrieb bleiben. Hier stellt sich die Frage, ob die Personalakquise nicht in Zeiten, in denen man es als Arbeitgeber leichter gehabt hätte, vernachlässigt wurde. Hat man vor zwanzig Jahren genug ausgebildet, als die DB AG um jeden Preis börsenfähig werden wollte? Jetzt jedenfalls gilt es, Personal zu gewinnen und zu halten, auch wenn die Digitalisierung weiter vorangeht.
Siehe auch: Knoten Köln: Drei ESTW-Projekte laufen
Foto: Deutsche Bahn AG / Michael Neuhaus