Die Mangelwirtschaft in der Eisenbahnkrise
27.06.24 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Die schwere Eisenbahnkrise in Deutschland zeigt sich von Flensburg bis Füssen, von Aachen bis Görlitz und sie liegt wie ein Schatten über der laufenden Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land. Doch der Alltag definiert sich nicht nur über diese vier Wochen, sondern über die Beständigkeit: Wie oft stehen Fahrgäste, die verlässlich zur Arbeit müssen, am Bahnsteig und warten auf einen verspäteten oder kurzfristig ausgefallenen Zug? Was ist, wenn die Anschlüsse platzen und aus 15 Minuten plötzlich eine Stunde wird?
Vergessen wir nicht, die Definitionskriterien für Verspätungen sind ja nach wie vor so, dass sich die Lage massiv beschönigen. Wenn ein Zug an einem Zwischenbahnhof eine Viertelstunde Verspätung hat und ein wichtiger Anschluss platzt, dann sagt das über die Pünktlichkeit noch überhaupt nichts aus. Wenn der Zug dann bis zum Endpunkt zehn Minuten rausholt, dann ist er wieder innerhalb der Fünfminutentoleranz und die gesamte Zugfahrt gilt als pünktlich. Da hat nur der Berufspendler nichts von, dessen Anschluss einmal mehr geplatzt ist und der, weil es die Regel und nicht die Ausnahme ist, deshalb im Betrieb schon seit längerem erhebliche Probleme hat.
Die Verkaufszahlen des Deutschlandtickets lassen zudem keine seriösen Vergleiche mehr zu, wie viele Fahrgäste sich irgendwann dann doch für den Umstieg auf das Auto entscheiden. Natürlich steht man auch da im Stau, aber zum einen bleibt es bei zehn Minuten und zum anderen kann man individuell planen, ob man Umwege fährt, ob man früher startet oder was auch immer. Wer sich auf den Zug verlässt, der ist … nicht verlassen, aber auf jeden Fall auf eine Verlässlichkeit angewiesen, die er nicht in der Hand hat und die es faktisch auch nicht gibt.
Das Problem ist, dass es an allen Ecken und Enden mangelt, nicht nur an Triebfahrzeugführern. Manche Züge fallen aus, weil sich der Lokführer kurzfristig krankmeldet oder weil einfach nicht genügend da sind. Bundesweit gibt es schon lange Not- und Sonderfahrpläne, die auf Ausdünnungen und Kürzungen beruhen, weil die Unternehmen nicht mehr genügend Kapazitäten haben, um die vom Aufgabenträger bestellten Leistungen zu fahren. Doch oft gibt es diesen Mangel auch in den Werkstätten.
Wenn nicht genügend Züge in betriebsbereitem Zustand vorgehalten werden können, dann müssen auch deswegen Züge ausfallen. Dann ist es auch egal, ob es einen Triebfahrzeugführer gäbe oder nicht, denn wenn der Zug nicht da ist, kann er eben auch nicht fahren. Dazu kommen die Probleme von Seiten der Infrastruktur: Der Personalmangel schlägt auch hier zu und nicht selten müssen Stellwerke unbesetzt bleiben.
Aber auch das macht nichts, wenn gleichzeitig wegen massiver Baustellen ohnehin nicht gefahren werden kann. Hier wiederum ist noch immer unklar, ob und wie man sich bei DB InfraGO auf Personalengpässe oder einen Mangel an Bau- und Rohstoffen im selbst ausgerufenen „Jahrzehnt der Baustellen“ vorbereitet hat. Die Eisenbahn leidet unter klassischer Mangelwirtschaft: Mal fehlt das eine, mal fehlt das andere, aber irgendwas ist immer.
Siehe auch: BaWü: SPNV-Qualität ist gesunken
Foto: Deutsche Bahn AG / Christian Bedeschinski