Der Nachfrageboom ist da
06.05.24 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Die Nachfrage ist in der Bundeshauptstadt natürlich besonders groß und so verwundert es, gerade vor dem Hintergrund des Deutschlandtickets, wohl niemanden, dass man wieder oberhalb des Vor-Corona-Niveaus angekommen ist. Allerdings sind die Probleme des Jahres 2019 auch mit Wucht zurück: Damals hat man in der Eisenbahn- und ÖPNV-Branche fest einkalkuliert, dass es zu einem konjunkturellen Abschwung kommen wird, der dafür sorgt, dass man jede Menge Quereinsteiger wird anwerben können, um die laufende Verrentungswelle abzufedern.
Vor fünf Jahren waren auch viele geburtenstarke Jahrgänge noch voll im Berufsleben, die inzwischen entweder in den Ruhestand eingetreten sind oder kurz davorstehen. Mit rund 16.100 Angestellten ist die BVG AöR ein riesiger Arbeitgeber und sie hat ja auch was zu bieten: Krisensichere Jobs, verlässliche Bezahlung nach Tarifverträgen mit anerkannten Gewerkschaften und planbare Arbeitszeiten. Niemand muss befürchten, dass der Arbeitgeber morgen in die Insolvenz geht oder betriebsbedingte Entlassungen drohen.
Auf der anderen Seite muss sich natürlich auch die Sichtweise auf die Arbeitsplätze rund um die Schiene und den öffentlichen Verkehr ändern. Oftmals hat man den Eindruck, dass während die Autoindustrie ja Arbeitsplätze bietet, der Straßenbahnfahrer nur Geld kostet. Aber bei der BVG AöR gibt es auch 16.100 Leute, die ihre Familien versorgen und ernähren, die ihre Kinder zur Schule schicken, die ihre alten Angehörigen versorgen und oft auch in die Betreuung der Enkelkinder involviert sind. Es sind ehrenwerte Berufe, die dazu beitragen, dass rund um die Bundeshauptstadt überhaupt so etwas wie Wertschöpfung stattfinden kann.
Man stelle sich Berlin einmal ohne oder einfach nur mit einem geringeren ÖPNV vor. Das würde ja gar nicht gehen. Sicherlich ist eine Situation mit einem selbsttragenden ÖPNV wie in Berlin nicht die Regel und auch dort wird es schlechtere Jahre geben, gerade wenn die Kosten steigen und man nicht weiß, wie es mit dem Deutschlandticket weitergeht. Auch die Tarifabschlüsse werden in den kommenden Jahren ordentlich sein, ganz einfach weil man gute Leute anders nicht gewinnen und erst recht nicht halten kann.
Wobei das Automatisierung hier auch eine Rolle spielt: Wenn man es tatsächlich schafft, einzelne Linien auf den fahrerlosen Betrieb umzustellen, dann können die Züge dort zumindest nicht wegen Personalmangel ausfallen. Normalerweise haben solche Systeme in Deutschland primär den Effekt, dass man der Welt vorführen kann, welche Technologieexporte wir anbieten: Kommt zu uns, seht Euch an, wie unsere fahrerlose U-Bahn, die wir Euch verkaufen wollen, bei uns funktioniert.
Aber wegen des massiven Personalmangels gibt es auch ganz einfache betriebswirtschaftliche Gründe für eine solche Umstellung. Man kann nicht mehr einfach so und mal eben Leute einstellen und sich dann sicher sein, dass die – und sei es nur mangels Alternative – für immer bleiben. Also muss man sich anderweitig orientieren, auch im Bereich der Automatisierung.
Siehe auch: BVG AöR legt Jahresabschluss 2023 vor
Foto: Berliner Verkehrsbetriebe AöR / Andreas Süß