Realitäten statt Träumereien
30.11.23 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Zunächst einmal würde ich mich nicht drauf verlassen, dass diese Ampelkoalition noch bis Herbst übernächsten Jahres hält. Zu groß sind die öffentlich gewordenen Gerüchte, dass der Bundeskanzler die Minister von Grünen und FDP entlassen und stattdessen in eine Koalition mit CDU und CSU eintreten könnte. Möglicherweise ist es aber auch die gemeinsame Angst vor Neuwahlen, die diese Koalition zusammenhält.
Neuwahlen jedoch bräuchte man nicht, wenn sich eine andere Koalition schmieden ließe, zumal der Bundestag nach den Erfahrungen der Weimarer Republik kein Selbstauflösungsrecht hat. Die infolge des jüngsten Urteils des Bundesverfassungsgerichts verhängte Haushaltssperre tut ihr übriges dazu, die angespannte Lage weiter zu dramatisieren.
Nehmen wir das Deutschlandticket: Aktuell ist das ganze bis zum 30. April nächsten Jahres finanziert, wie es ab dem 1. Mai weitergeht, wissen wir nicht. Es könnte ganz wegfallen, es könnte deutlich teurer werden, vielleicht wird es ab Mai auch vorübergehend eingestellt und kommt im Herbst wieder. Da ist es verständlich, dass kein größerer Arbeitgeber von sich aus z.B. Parkplatzkapazitäten abbaut und Jobtickets anschafft, wenn regelmäßig unklar ist, wie es mit diesem neuartigen Angebot weitergeht.
Auch die Finanzierung von Schienenausbauten ist auf einmal unklar. Die Kreditermächtigungen im Rahmen der Coronakrise lassen sich nämlich nicht einfach in einen Klima- und Transformationsfonds umwidmen und so steht der Bund auf einmal da mit lauter Versprechungen aber ohne Geld. Die Schuldenbremse im Grundgesetz hat Bestand und zwar auch dann, wenn man mit Schattenhaushalten arbeitet oder „Sondervermögen“ wie es im Ampeldeutsch heißt.
Der VCD mag sich über die erhöhte Lastwagenmaut freuen und hofft wahrscheinlich, dass mehr Verkehr auf die Schiene verlagert wird. Tatsächlich wird der Effekt ein anderer sein: Die Waren des täglichen Bedarfs werden teurer, denn in jedem Pfund Butter und jedem Liter Milch bei Rede oder Edeka steckt die Lastwagenmaut mit drin. Oder kennen Sie einen Supermarkt, der über die Schiene beliefert wird? Der Staat profitiert zudem doppelt, denn je höher der Grundpreis, desto höher auch die Umsatzsteuer auf Lebensmittel, selbst wenn sie „nur“ sieben und nicht 19 Prozent beträgt.
Und was man gemeinhin als Dieselprivileg oder gar Dieselsubvention bezeichnet ist nichts weiter als eine etwas geringere Besteuerung von Dieselkraftstoff – den übrigens auch Stadtbusse und zahlreiche Triebzüge im SPNV tanken und bezahlen müssen. Sollte also der Dieselpreis steigen, wäre das bei öffentlichen Verkehrsmitteln ein erheblicher zusätzlicher Kostenblock.
Zumal unabhängig davon die Frage ist, ob die Eisenbahn überhaupt in der Lage ist, zusätzliche Personen- und Güterverkehrsströme aufzunehmen. Wenn man sieht, dass überall in Deutschland Sonderfahrpläne gelten, weil die Unternehmen eben keine Kapazitäten haben, dann kann man auch nicht von einer Verkehrswende sprechen, zumindest nicht kurzfristig. Die Ampelkoalition ist da deutlich realistischer als der VCD.
Siehe auch: VCD: Halbzeitbilanz der Ampelkoalition
Foto: Daniel_Nebrada