Die Umsteigewille ist da
16.10.23 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Ganz offensichtlich sind es keine bequemen Autofahrer, die aus lauter Egoismus den ÖPNV verweigern und augenscheinlich ist es auch nicht immer die tatsächliche oder vermeintliche Untersubventionierung öffentlicher Verkehrsmittel. Im Gegenteil: Wir sehen dieser Tage, dass der Bürger sehr wohl bereit ist, ein gutes Angebot anzunehmen und das Auto stehen zu lassen. Wir sehen das schon lange und überall in der Republik.
Die großen Reaktivierungen seit der Eisenbahnreform sind allesamt ein Erfolg. In aller Regel werden die gutachterlichen Fahrgastprognosen weit übertroffen und in Nordrhein-Westfalen haben wir mit der Düsseldorfer Regiobahn das absolute Paradebeispiel: Um mehr als 5.000 Prozent sind die Fahrgastzahlen seit 1998 gestiegen, mit einer weiter nach oben gehenden Tendenz und erheblichen Potentialen zur Streckenverlängerung am westlichen Ende.
Auch Konzepte wie das Karlsruher Modell zeigen, was für Menschenmassen auf einmal gerne auf die Schiene umsteigen, wenn das Angebot stimmt. Das heißt aber auch, dass man nicht erst mit dem Auto oder dem Bus irgendwo hinfahren muss, sondern dass man möglichst gut zuhause abgeholt wird. Niemand hat Lust, nach einer halbstündigen Bahnfahrt noch eine weitere halbe Stunde auf den Bus zu warten, der einen dann nach Hause bringt.
Vertaktung ist also das Zauberwort. Das kann man nicht von oben anordnen, das müssen die Kommunen selbst machen. Wenn beispielsweise und ohne behaupten zu wollen, dass es auch so ist, der Rhein-Sieg-Kreis nicht bereit ist, die Busse, die abends vom Hennefer Bahnhof abfahren, an den Regionalexpress aus Köln zu orientieren, dann muss man das vor Ort regeln können oder gar nicht. Einen Verkehrsverbund oder gar einen Verkehrsminister zur Hilfe rufen wäre zwar eine gute Idee, aber diese Stellen haben andere Aufgaben und Verantwortungsbereiche.
Eines der Hauptprobleme ist auch hier, dass die Realität und die Narrative voneinander abweichen. Wir erleben dieser Tage überall Leistungskürzungen wegen Personalmangel. Die Unternehmen steigen auf Notfahrpläne um, weil sie nicht in der Lage sind, den Soll-Fahrplan einzuhalten. Das kann verschiedene Gründe haben. Möglicherweise muss man sich Gedanken machen, ob mit der Einführung des Tarifvertrages Nahverkehr nicht zu sehr am Personal gespart worden ist und ob hier in den kommenden Jahren nicht erhebliche Lohnsteigerungen angezeigt sind, um gute Mitarbeiter nicht nur zu finden, sondern auch langfristig zu halten.
Ganz aktuell sagen die Stadtwerke Bonn, dass sie aufgrund einer Bürgergeld-Erhöhung am 1. Januar davon ausgehen, dass sie Mitarbeiter verlieren. Dann muss man eben Löhne bezahlen, die nicht nur geringfügig, sondern deutlich über dem Sozialhilfeniveau liegen – oder man darf sich solcher Ausreden für die Personalfluktuation nicht bedienen. Die Zeiten, in denen die Leute um jeden Preis auf den Job beim ÖPNV angewiesen sind, ist vorbei. Dem muss man sich stellen und ein Arbeitgeber sein, der im Wettbewerb mithalten kann.
Siehe auch: NRW evaluiert ÖPNV-Angebote
Foto: Deutsche Bahn AG / Axel Hartmann