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Die Gunst der Stunde ist da

07.09.23 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Die Ampelkoalition mag in Umfragen schlecht dastehen, aber sie hat auch eine ungünstige Zeit erwischt: Im Februar letzten Jahres brach ein grausamer und sinnloser Krieg in Osteuropa aus. Infolgedessen ist Deutschland in eine schwere Energiekrise geschlittert. Es war wohl ein Fehler, sich auf nur einen Lieferanten zu verlassen; insbesondere dann, wenn die Nutzung eigener Bodenschätze für die hiesige Energiesicherheit aus ideologischen Gründen abgelehnt wird.

Noch immer ist unklar, wer hinter den Anschlägen auf die Ostsee-Pipelines steckt, aber selbst bei einem Wiederaufbau müsste man befürchten, dass wieder jemand unbekanntes vorbeikommt und die Röhren sprengt. Gleichzeitig befinden wir uns in einer Inflation, wie es sie im bundesrepublikanischen Deutschland noch nicht gegeben hat.

Aber die Eisenbahn und die öffentlichen Verkehrsmittel konnten von genau dieser Krise profitieren. Es fing letztes Jahr mit dem überraschend eingeführten Neun-Euro-Ticket an. Unabhängig davon, wie man das Konzept dahinter bewertet, war die Eisenbahn plötzlich in aller Munde. In den abendlichen Hauptnachrichten ist über die Eisenbahn gesprochen worden, wie man es sonst nur aus Streikzeiten kennt.

Tatsächlich wissen wir heute, dass mit dem Neun-Euro-Ticket im wesentlichen Zusatzfahrten generiert worden sind, also es gab keine Verlagerung weg vom Auto, sondern es gab Spaß- und Partyfahrten. Wer von Flensburg bis Füssen in 92 Kalendertagen möglichst viel mitnehmen wollte, war fast jede freie Minute im Zug. Manch eine Party auf Sylt hätte wohl ansonsten in Essen-Bergeborbeck im Schrebergarten stattgefunden. Nichtsdestotrotz kam die Politik aus der Nummer nicht mehr raus und seit dem 1. Mai haben wir nun das Deutschlandticket.

Das hätte man schon zum 1. September letzten Jahres haben können, die Branchenakteure hatten ihre Vorschläge rechtzeitig auf den Tisch gelegt und es war die Politik, die sich nicht einigen konnte und die somit fast ein Dreivierteljahr verloren hat. Etwas mehr Entscheidungsfreudigkeit täte einigen Leuten gut und gerade die Verweigerungshaltung aus Reihen der Länder ist hier ein Problem.

Das ist leider gerade in eisenbahnpolitischen Fragen keine Neuigkeit, dass Landesregierungen zwar alles mögliche versprechen, aber oft trotz desolater Haushalte nicht bereit sind, hier eigenes Geld zu geben. Aber wenn wir wirklich eine Verkehrswende machen wollen, wenn wir Autofahrer auf die Schiene bringen wollen, dann geht das nur als gesamtstaatlicher Akt. Da kann kein Landesverkehrsminister sagen, dass das Bundessache sei, da hätten die Länder nichts mit zu tun.

Und seien wir ehrlich: Die Entlastung für den Berufspendler ist ja enorm. Wer jeden Tag von Wuppertal nach Köln pendelt, spart über 200 Euro im Monat. Was bräuchte man für eine Brutto-Gehaltserhöhung, um netto 200 Euro mehr in der Tasche zu haben? Gleichzeitig aber leidet die Eisenbahn nicht an Unterfinanzierung, sondern an fehlenden Kapazitäten in allen Feldern. Ein Thema, das uns noch mehr beschäftigen wird, als viele jetzt noch denken.

Siehe auch: Verbände: Kritik zur Halbzeit der Ampelkoalition
Foto: Deutsche Bahn AG / Georg Wagner

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