Schlechte Prognosen werden Realität
28.08.23 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Über Monate wollte kein Mensch was davon hören: Wie kommen Sie denn bitte drauf, dass Baustoffmangel ein Problem sein könnte? Niemals würden Bauarbeiten verzögert werden, weil es keine ausreichende Personaldecke gibt, weil die Bauarbeiter fehlen. Das sind doch völlig wilde Theorien jenseits der Realität. Das offizielle Narrativ lautet, dass die Eisenbahn untersubventioniert ist, aber ansonsten ist alles super, prima und klasse.
Wieso sollte DB Netz sich denn in irgendeiner Form darauf vorbereiten, dass man bei Baustofflieferanten in Konkurrenz mit anderen Kunden steht? Und plötzlich sehen wir in Berlin: Genau das Problem ist da, plötzlich und unerwartet stehen wir mitten im Jahrzehnt der Baustellen da und sehen: Hoppla! Weder gibt es Bauarbeiter noch gibt es Baustoffe.
Jetzt ist die Frage: Lernt man daraus? Sprechen wir auf politischer Ebene dafür und nimmt die Geschäftsleitung des Bundesunternehmens DB Netz diese Sache zum Anlass und sagt: Wir müssen uns vorbereiten? Nein, offensichtlich nicht. Was jetzt in Berlin passiert, geht nahezu vollkommen unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung hindurch. Ja, dann müssen wir halt noch etwas warten. Es ist ja ohnehin nichts ungewöhnliches, dass Bauprojekte der DB AG teurer werden und sich verzögern.
Wir erleben aber nicht nur die Verzögerung von Neubauten, sondern wir sind mitten im von DB Netz selbst ausgerufenen „Jahrzehnt der Baustellen“. Wir erleben eine so massive Baubelastung, dass auch der langfristige Nutzen in keinem Verhältnis zum kurzfristigen Schaden mehr steht. Jetzt wissen wir nicht, was uns in den nächsten Jahren droht, weil Bauarbeiten plötzlich ruhen müssen. Was passiert denn, wenn so eine für vier Wochen geplante Baustelle auf einmal drei Monate dauert, weil es keine Baustoffe und keine Bauarbeiter gibt?
Damit gehen ja auch erhebliche Risiken für die Eisenbahnverkehrsunternehmen einher: Man geht davon aus, dass man für vier Wochen einen Busersatzverkehr organisieren muss und dann heißt es: Ätsch, es dauert jetzt doch dreimal solange, seht zu, wo Ihr die Busse herkriegt! Denn auch das darf man nicht vergessen: Busfahrer und auch Busse wachsen nicht auf den Bäumen und stehen auch nicht endlos zur Verfügung.
Es kann durchaus sein, dass ein Busunternehmen, das vier Wochen den Ersatzverkehr gefahren ist, für die unerwartete fünfte Woche nicht mehr zur Verfügung steht, weil man woanders einen Auftrag für den Schienenersatzverkehr angenommen hat. Wir sprechen aktuell wieder über neue Probleme bei den Lieferketten, einige sehen sogar den Corona-Virus zurückkommen und niemand weiß, was uns in den kommenden Jahren erwartet.
Wir können also davon ausgehen, dass das, was wir jetzt in Berlin erleben, der Auftakt für eine Situation der Mangelwirtschaft nicht nur im Verkehrs-, sondern auch im Infrastrukturbereich ist. Entsprechend müssen die verantwortlichen Stellen jetzt Vorbereitungen treffen, damit sich die schwere Eisenbahnkrise in Deutschland zumindest nicht noch weiter verschärft.
Siehe auch: S-Bahn Berlin: Bauarbeiten verzögern sich
Foto: Deutsche Bahn AG / Dominic Dupont