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Die Welt zu Gast in der Eisenbahnkrise

19.06.23 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Haben Sie das auf dem Schirm, wenn Sie Fußballfan sind? Es ist nicht mal mehr ein Jahr, bis die Fußball-Europameisterschaft hier in Deutschland anfängt. Die allermeisten werden persönliche Erinnerungen an das Sommermärchen 2006 haben, ein großartiges Turnier mit dem einzigen Haken, dass Italien Weltmeister geworden ist. Ob Deutschland nächstes Jahr die Chance hat, im eigenen Land Europameister zu werden, sei dahingestellt. Zumindest kann man seine Hoffnung darauf legen, dass Deutschland eine Turniermannschaft ist.

Kann man das vielleicht auch auf die Eisenbahn übertragen? Hat Deutschland vielleicht eine Turnierbahn, also eine, die ihre Leistungen im Laufe eines mehrwöchigen Turniers immer weiter steigern kann? Wahrscheinlich nicht und es wird wohl ein großer Kraftakt erforderlich sein, dass Deutschland sich als in der schwersten Eisenbahnkrise seiner Geschichte steckender Gastgeber nicht blamiert.

Natürlich kann der DB-Konzern während dieser vier Wochen eine absolute Urlaubssperre verhängen. Doch wenn es zu Krankheitswellen bei einer ohnehin auf Kante genähten Personalausstattung kommt, dann nutzt auch das nichts. Wie werden unsere Gäste aus ganz Europa reagieren, wenn sie erleben, dass ihre Züge stark verspätet oder gar nicht fahren, dass sie umgeleitet werden müssen, weil die Stellwerke in den Abendstunden nicht mehr besetzt werden können oder ausfallen, weil es keine Lokomotivführer mehr gibt?

Sind wir, gemessen am Zustand unserer Eisenbahn, in Deutschland überhaupt in der Lage, ein solches Turnier auszurichten? Zumindest besteht eine Resthoffnung, dass wir uns nicht völlig blamieren. Doch was wir seit Jahren erleben und in der jüngsten Vergangenheit immer stärker, ist typische Mangelwirtschaft. Nicht nur, dass man eine Lücke stopft und dafür wird die nächste aufgerissen, sondern ganz generell. Wenn die Zugausfälle mal wegen zu wenig Lokomotivführern, mal wegen fehlender Fahrdienstleiter oder mal wegen personalbedingt nicht stattgefundener Wartungsarbeiten sind, dann sind die klassischen Merkmale der Mangelwirtschaft erfüllt.

Jetzt wird sicherlich der eine oder andere Schienenlobbyist sagen, dass man dann halt mehr Geld brauche, vornehmlich natürlich aus dem Bundeshaushalt. Doch zum einen stellt sich die Frage, wie viel zusätzliches Geld in einem so relativ kurzen Zeitraum überhaupt sinnvoll ausgegeben werden kann und was mit den gigantischen Ausgaberesten aus den Regionalisierungsgeldern passiert ist.

Wir werden die Eisenbahnkrise in Deutschland jedenfalls nicht lösen, zumindest nicht kurzfristig, wenn man unreflektiert mehr Geld in das System pumpt in der Hoffnung, dass dann automatisch was gutes bei rauskommt. Im Gegenteil. Wir müssen kurzfristig versuchen, zumindest ein solches Fußballturnier ohne Totalblamage über die Bühne zu bringen und langfristig mit einem breiten Strauß an Maßnahmen die Eisenbahnkrise zu Ende bringen. Dazu gehört natürlich auch eine auskömmliche Finanzierung durch die öffentliche Hand. Aber eben nicht nur.

Siehe auch: DB AG wird Partner der Fußball-Europameisterschaft 2024
Foto: Deutsche Bahn AG / Oliver Lang

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