Den Fortschritt weiter vorantreiben
15.06.23 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Muss man wirklich den Takt von 150 auf 100 Sekunden verdichten? Ist da soviel gewonnen? Tatsächlich macht es einen Unterschied, ob bislang 24 Züge pro Stunde und Richtung fahren oder demnächst 36 – das ist eine Steigerung von fünfzig Prozent. Angesichts von wachsendem Fahrgastaufkommen in den Hamburger Zentralbezirken ist das eine sinnvolle Möglichkeit, sich fit zu machen für die Zukunft.
Unabhängig von einer Coronadelle wissen wir, dass die Fahrgastzahlen perspektive weiterhin steigen werden. Mit dem Deutschlandticket ist es nun auch finanziell attraktiv, für den Berufsverkehr vom Auto auf die öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen. Wir wollen doch immer dafür sorgen, dass es auch die Kapazitäten gibt, um die zu erwartenden zusätzlichen Fahrgastmengen aufzunehmen. Anders als beim Neun-Euro-Ticket, wo man es für drei Monate lang weitgehend mit Spaß- und Partyfahrten zu tun hatte, kann man jetzt davon ausgehen, dass Autofahrer ernsthaft auf die Schiene wechseln, wenn das Angebot entsprechend gut ist.
Hier muss man ansetzen: Denn heillos überfüllte Züge sind unattraktiv und das Auto bietet selbst im härtesten Stau eine Sitzplatzgarantie an; man wird auch nicht von den teilweise sehr eigenwilligen Körpergerüchten einiger Mitfahrgäste in Mitleidenschaft gezogen. Eine Person mit Hygieneproblemen kann einen ganzen Zug unbenutzbar machen. Deshalb braucht man im urbanen Raum auch Kapaziätserweiterungen dieser Art.
Doch es gibt auch einen anderen Punkt, der für die deutsche Wirtschaft wichtig ist: Die Technik, die hier gebaut wird, die kommt ja nicht nur an der Waterkant zur Anwendung, sondern die kann so ein Hersteller auch in die Welt verkaufen. Warum etwa gibt es in Nürnberg eine fahrerlose U-Bahn? Weil es soviel effizienter ist als eine mit Fahrer? Vielleicht! Vor allem aber geht es darum, der Welt zu zeigen, dass eine Technologie, die wir exportieren möchten, bei uns im Inland funktioniert.
Seht her, wir können die U-Bahn im 100-Sekunden-Takt fahren lassen. Wenn Ihr sehen wollt, wie das System, das wir Euch verkaufen wollen funktioniert, dann kommt nach Hamburg und seht es Euch an! Man darf derartige Überlegungen nicht unterschätzen, die spielen natürlich eine erhebliche Rolle bei moderner Infrastrukturpolitik.
Wobei sich natürlich die Frage anschließt, ob die Hochbahn ihrerseits überhaupt die Kapazitäten hat, diese Züge fahren zu lassen: Wir stehen bundesweit am Anfang einer Verrentungswelle, davon wird auch die Hochbahn betroffen sein. Gleichzeitig muss man bei Leistungsausweitungen dieser Art nicht nur die vorhandenen Mitarbeiter ersetzen, sondern im großen Stil ausbauen.
Wird das zu schaffen sein? Das ist angesichts der demographischen Entwicklung eine hochrelevante Frage. Dazu kommt bei jüngeren Leuten immer oft der Trend zur Teilzeitarbeit und Tarifverträge, die verstärkt auf Freizeitausgleiche statt Überstunden setzen wird es bald auch im kommunalen Bereich geben. Das ist die wohl größte Herausforderung für die Hochbahn in diesem Zusammenhang.
Siehe auch: Hochbahn testet 100-Sekunden-Takt
Foto: Hamburger Hochbahn AG