Richtig und Wichtig!
15.05.23 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Ein Warnstreik, der fünfzig Stunden dauert ist jenseits jeder Verhältnismäßigkeit. Das gilt für einen fünfzigstündigen Warnstreik am Stück ebenso wie für fünfzig Warnstreikaufrufe von jeweils einer Stunde. In solchen Fällen hat die DB AG nicht nur das Recht, sie muss auch die Pflicht haben, sich dagegen zu wehren. Das Streikrecht findet seine natürlichen Grenzen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit.
Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit hat viel zu tun mit der Frage nach dem Eskalationsgrad. Dieser ist derzeit noch relativ weit unten: Die Tarifverhandlungen wurden durch die EVG nicht für gescheitert erklärt. Folglich gab es auch keine Urabstimmung, die aber notwendig ist, um zu Streiks in diesem Ausmaß aufzurufen. Möglicherweise würden die DB AG und die EVG dann auch in ein Schlichtungsverfahren eintreten, das wiederum scheitern kann.
So gab es im Jahr 2020 im DB-Konzern Streikaufrufe der GDL, die allerdings erst erfolgt sind, nachdem ein solches Schlichtungsverfahren gescheitert war. Das ist hier nicht der Fall als reinen Warnstreik ist ein solcher Streikaufrufe meiner Ansicht nach nicht verhältnismäßig. Das gilt im übrigens auch für Warnstreiks, die die ebenfalls zum DGB gehörende Gewerkschaft Verdi im Frühjahr im kommunalen Nahverkehr veranstaltet hat. Auch hier sind mehrtägige Warnstreiks unverhältnismäßig.
Hier ist es jetzt bei der nächsten Tarifrunde die Sache der Unternehmensführung von Bogestra, Rheinbahn, KVB und Co., gerichtlich mehrtägige Verdi-Streiks zu verhindern. Hier ist natürlich das Problem, dass die DB AG, zumindest im SPNV, den Druck durch die Aufgabenträger hat. Aufgabenträger gibt es formaljuristisch zwar auch im kommunalen ÖPNV, in der Realität findet ein Controlling, wie man es aus dem SPNV kennt, dort nicht statt. In den meisten Fällen ist den Gebietskörperschaften nicht einmal bekannt, welche Zuständigkeiten sie als Aufgabenträger für den Stadtverkehr eigentlich haben.
Davon unabhängig ist natürlich die Frage nach der eigentlichen Lohnforderung zu sehen: Wenn die DB AG sagt, sie würde zehn Prozent mehr Geld bieten, dann sind das bei einer Laufzeit von 27 Monaten natürlich nur noch unter fünf Prozent im Jahr. Die DB AG hat angeboten, einen Konzernmindestlohn zu 13 Euro in der Stunde einzuführen – bei einer Tarifvertragslaufzeit vom 1. April 2023 bis zum 30. Juni 2025. Da der gesetzliche Mindestlohn aber bereits zum 1. Januar 2024 steigen wird, könnte diese Regelung bereits anderthalb Jahre vor dem Ende der Vereinbarung unwirksam sein, denn natürlich kann ein Tarifvertrag den gesetzlichen Mindestlohn nicht konzernspezifisch nach unten korrigieren.
Eine Regelung, dass der Konzernmindestlohn stets einen oder zwei Euro, vielleicht auch zehn bis zwölf Prozent höher als der gesetzliche Mindestlohn wäre, dürfte da durchaus naheliegend sein. Denn vergessen wir nicht: Es gibt einen massiven Personalmangel bei der Eisenbahn und die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeit stehen vor dem Renteneintritt. Es wird also sicherlich den vielzitierten „Schluck aus der Pulle“ geben. Verdient!
Siehe auch: EVG-Streik gerichtlich verhindert
Foto: Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft