Eisenbahnjournal Zughalt.de

Nachrichten über Eisenbahn und öffentlichen Verkehr

Realität und Narrative

30.03.23 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Dass das Narrativ, man werde die Fahrgastzahlen bis 2030 verdoppeln, mit der Realität nichts zu tun hat, wurde an dieser Stelle schon mehrfach ausgeführt. Jetzt allerdings schlagen die Aufgabenträger Alarm und stellen fest, dass es jenseits warmer Worte aus der Politik sogar echte und existenzbedrohende Finanzprobleme gibt: Neue Verkehrsverträge werden teurer, die Energie- und Personalkosten gehen in die Höhe und schlimmstenfalls drohen deutlich vor 2030 massive Abbestellungen der Verkehrsleistungen.

Es spielt dabei auch keine Rolle mehr, ob die Züge voll sind und nachgefragt werden: Wenn kein Geld da ist, die Betriebsleistungen zu finanzieren, dann können die Aufgabenträger diese nur abbestellen. Sollten die Verkehrsverträge dummerweise so verfasst sein, dass Abbestellungen nur in einem bestimmten Rahmen möglich sind, dann muss es darüber hinaus Entschädigungen geben, die dann wiederum mit weiteren Abbestellungen von Eisenbahnleistungen finanziert werden. Dann hat man den Betriebsschluss eben nicht um Mitternacht, sondern schon um zwanzig Uhr oder an Sonn- und Feiertagen nur einen Zweistundentakt auf den RE-Achsen. Manche Linien könnten wegen ausreichendem Parallelverkehr auch gänzlich gestrichen werden, zumindest jenseits des Berufsverkehrs.

Dazu kommen Kostenfaktoren in der Zukunft, die wir alle noch nicht überblicken können: Was wird denn ein Netz mit Batterietriebzügen über dreißig Jahre kosten? Was machen wir denn, wenn die Akkus in den Zügen nach zehn oder zwölf Jahren nicht mehr so zuverlässig sind wie gedacht und die Züge regelmäßig stehenbleiben? Wer finanziert dann die neuen Akkus? Das Eisenbahnverkehrsunternehmen wird entsprechende Risiken von Anfang an mit einpreisen. Wenn der Aufgabenträger sich beteiligt, wird auch dieser entsprechende Risikorückstellungen vornehmen müssen.

Ein weiterer Punkt ist der massive Personalmangel. Obwohl: Wenn man ohnehin keine Kapazitäten hat, dann man ja durchaus auch weniger Züge in den Fahrplan schreiben. Das ist aber nicht das Ziel einer starken Schiene, sondern man muss investieren: In vernünftiges Rollmaterial, Infrastruktur und gut bezahltes Personal. Wichtig ist, dass die Aufgabenträger angekündigt haben, sich beim Bund und beim Land für eine auskömmliche Finanzierung einzusetzen. Es reicht nicht, wenn die Länder einfach nur Geld vom Bund fordern, sondern diese müssen sich auch selbst bewegen.

Es ist zudem fraglich, was die Länder dem Bund in den Verhandlungen anbieten können, wenn sie ohne eigene Verhandlungsmasse nur mehr Geld fordern. Anders sähe es aus, wenn Bund und Land aus ihren Haushalten mehr Geld bereitstellen, dann könnte man sich gegenseitig etwas anbieten. Der nordrhein-westfälische Landeshaushalt hat 2023 ein Volumen von über 93 Milliarden Euro. Aus einem solchen Finanzkoloss 300 bis 600 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung zu stellen kann nicht unmöglich sein. Es ist eine Frage des politischen Willens. Hier ist Düsseldorf gefordert, mit gutem Beispiel voranzugehen.

Siehe auch: NRW: Abbestellungen befürchtet
Foto: Stefan_Bernsmann

Kommentare sind geschlossen.