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Zumindest ist viel Potential da

30.01.23 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Man kann wohl sagen, dass Busse und Bahnen selten so im Fokus des öffentlichen Interesses standen wie 2022. Das Neun-Euro-Ticket hat dafür gesorgt, dass mehr Kundengruppen hinzukommen und auf einmal auch Leute auf der Schiene sind, die das bislang nicht waren. Das war das Ziel der Bundesregierung und tatsächlich scheinen einige ja auch geblieben zu sein.

Das ändert nichts daran, dass die Eisenbahn in diesen Sommermonaten für viele langjährige Berufspendler wegen des hohen Andrangs unbenutzbar geworden ist. Manch einer hat sich sogar für drei Monate eine Bahncard 100 gekauft, weil es eben im Regionalverkehr nicht mehr ging und man daher auf den Fernverkehr ausgewichen ist; so das denn ging. Hier sind wir tatsächlich bei einem wichtigen Punkt: Man kann nicht auf Knopfdruck riesige Kapazitätssteigerungen herbeizaubern.

Die reale Situation ist deutlich schlimmer. Deutschland befindet sich in einer schweren Eisenbahnkrise, die sich durch eine große Verrentungswelle und das „Jahrzehnt der Baustellen“ erst an ihrem Anfang befindet. Schienenersatzverkehre wegen Baustellen werden noch bis mindestens 2030 die Regel sein. Es ist auch völlig unklar, ob und wie das Bundesunternehmen DB Netz hier auf mögliche Lieferengpässe von Bau- und Rohstoffen vorbereitet ist und ob allein dadurch Verzögerungen drohen.

Gleichzeitig gehen nicht nur altgediente Eisenbahner in den Ruhestand, sondern auch Quereinsteiger werden oft nach relativ kurzer Zeit zu Queraussteigern. Wie man es da schaffen will, in sieben Jahren die Fahrgastzahlen zu verdoppeln, ist mir nach wie vor schleierhaft, zumal weder der VDV noch die DB AG oder irgendein anderer Branchenakteur verrät, im Vergleich wozu man diese Fahrgastverdoppelung anstrebt.

Jetzt muss man erstmal dafür sorgen, dass der Status Quo halbwegs gesichert werden kann und das mit fortschreitender Digitalisierung ein Teil der Arbeit der jetzt wegbrechenden Eisenbahner an den Kollegen Computer abgegeben werden kann. Neben dem elektrischen muss auch das digitale Stellwerk die Regel werden, damit wir nicht mehr nächtliche Streckenschließungen haben, die zwischen 20 und 22 Uhr beginnen und bis in den nächsten Morgen dauern, weil für die Stellwerke kein Personal mehr da ist.

Das ist dann auch tödlich für den Güterverkehr, der das kurze Zeitfenster in der Nacht so dringend braucht, wenn er nicht von Personenzügen aufgehalten wird. Das muss man kurzfristig angehen und dafür sorgen, dass zumindest die dem Endnutzer gegenüber unverschämtesten Auswirkungen ein Ende haben.

Dazu kommt mit dem 49-Euro-Ticket jetzt eine massive finanzielle Entlastung, doch die kann ihren Nutzen nur entfalten, wenn Deutschland es schafft, aus der Eisenbahnkrise hinauszufahren und die Schiene wieder verlässlich aufzustellen. Vor allem aber sehen wir, dass auch jede Menge Autofahrer sehr wohl bereit sind, auf die Schiene zu wechseln, wenn man ihnen ein qualitativ und quantitativ vernünftiges und zuverlässiges Angebot macht. Auf dieser wichtigen Erkenntnis gilt es aufzubauen.

Siehe auch: VDV fordert bundesweite ÖPNV-Ausbauoffensive
Foto: NoName_13

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