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Die Eisenbahnkrise droht sich zu verschärfen

06.10.22 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Nicht nur Nordrhein-Westfalen, sondern ganz Deutschland befindet sich im Herbst 2022 in einer schwerwiegenden Eisenbahnkrise. Dem Endkunden ist es egal, ob der Zug nicht kommt, weil es keinen Triebfahrzeugführer oder weil es keinen Fahrdienstleiter für das Stellwerk gibt. Vor einigen Jahren wurden sehr vernünftige Konzepte unter dem Motto „Verkehrsvertrag 2.0“ diskutiert.

Demnach soll ein ausgefallener Zug für einen Betreiber anders bewertet werden, wenn der Zug wegen Personalmangel nicht fährt als wenn der Zug z.B. wegen defekter Bahnübergänge oder Weichen nicht weiterfahren kann. Wenn es aber weder einen Fahrdienstleiter noch einen Triebfahrzeugführer gibt, ist die gesamte Debatte Makulatur.

Tatsächlich haben wir bundesweit immer wieder die Situation, dass frühzeitig auf bestimmten Strecken Schluss gemacht werden muss, weil abends zwischen 20 und 22 Uhr die Stellwerke vom Netz gehen: Kein Personal für die Nachtschicht. Das ist dann auch die Ursache dafür, dass die Bundesregierung per Verordnung Vorrang für Brennstofftransporte auf den Schienen anordnen muss: Wo man unter normalen Umständen (aber was ist schon normal in dieser Zeit?) auch nachts Kohle zu den Kraftwerken bringen kann, ist das eben gerade nicht möglich, wenn die Stellwerke nicht besetzt sind.

Dabei ist das relativ kurze Zeitfenster zwischen Mitternacht um dem Beginn des Berufsverkehrs so wichtig für Gütertransporte, weil die Züge eben nicht durch Personenzüge mit höherer Priorität ausgebremst werden. Dabei sehen wir auch, dass kein Ende in Sicht ist: Bis 2030 werden die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen.

Also muss man jetzt verstärkt den Kontakt mit Schulen suchen: Flächendeckende Schulpartnerschaften starten und auch Jugendlichen, die sich in der Schule schwertun, eine berufliche Perspektive bieten, um den Arbeitskräftemangel langfristig in den Griff zu bekommen. Langfristig, das ist das Zauberwort. Kurzfristig kann man nicht davon ausgehen, dass sich die Situation verbessert.

Gerade wenn wir über Leistungsausweitungen in irgendwelchen Zielnetzen sprechen, so bleiben diese doch selbst bei deutlich höheren Regionalisierungsgeldern weitgehend Träumerei. Man könnte sicherlich mehr Züge in die Fahrpläne schreiben, fahren könnten diese mangels Personal nicht. Zudem stellt sich auch im „Jahrzehnt der Baustellen“ die Frage, welche Rolle der aktuelle und weiter zu erwartende Mangel an Bau- und Rohstoffen spielen wird.

Müssen Baustellen vielleicht ruhen – Schlafbaustellen kennt man von Autobahnen zur genüge – weil es nicht genügend Nachschub gibt? Wie ist DB Netz auf diese Situation vorbereitet und welche kurzfristigen Streckenfreigaben kann man machen, wenn an so einer Baustelle jetzt wegen Lieferengpässen mal zwei Wochen nicht gearbeitet werden kann? Auch hier muss man vernünftige Lösungen finden, denn das Thema ist ebenfalls kein kurzfristiges. Mit all diesem Wissen aber kann man eine Sache wohl ausschließen: Dass sich bis 2030 die Fahrgastzahlen verdoppeln. Vergesst es einfach!

Siehe auch: NRW: Weiter schwere Bedingungen auf der Schiene
Foto: National Express Rail GmbH

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