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Echte Eisenbahnkrise statt starker Schiene

22.09.22 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Denken wir neun Jahre zurück, das ist ein relativ überschaubarer Zeitraum. Dass der Mainzer Hauptbahnhof im Sommer 2013 zeitweise zu wenige Fahrdienstleiter hatte, war damals ein bundesweiter Skandal. Inzwischen ist es gang und gäbe, dass manche Strecken entweder über Tage hinweg immer wieder nicht befahrbar sind oder aber dass die Strecke abends zwischen 20 und 22 Uhr Betriebsschluss hat, weil die zu wenigen Fahrdienstleiter dann auf die Tagesschichten gesetzt werden.

Das ist ja auch der Grund dafür, dass Brennstoffzüge für reaktivierte oder laufzeitverlängerte Kraftwerke Vorrang auch ohne Expresstrasse kriegen, weil gerade diesen Zügen das so wichtige Zeitfenster in der Nacht fehlt, wenn der Güterverkehr eben nicht von Personenzügen ausgebremst wird. Aber augenscheinlich kann man zumindest in den kommenden Monaten nicht gewährleisten, dass nächtliche Trassenslots auch verlässlich genutzt werden können.

Wir befinden uns in einer schwerwiegenden Eisenbahnkrise und diese Eisenbahnkrise ist weder durch Untersubventionierung verursacht worden noch eine Spätfolge Mehdorn´scher Misswirtschaft. Dennoch gilt es jetzt, die Eisenbahn fit für die Zukunft zu machen. Zuerst einmal müssen wir uns von Fieberträumen verabschieden, nach denen man binnen acht Jahren die Fahrgastzahlen verdoppeln würde. Stand jetzt können wir froh sein, wenn man im Jahr 2030 das momentane Angebot noch fahren kann – und zwar nicht, weil es vielleicht nicht mehr finanzierbar sein könnte, sondern weil es an den Ressourcen scheitert.

Es fehlen die Mitarbeiter rund um die Schiene, aber auch die Mitarbeiter, die die Baustellen im Schienennetz organisieren sollen fehlen. Das ist aber vielleicht auch gar nicht weiter schlimm, denn auch bei Bau- und Rohstoffen stehen Knappheiten ins Haus. Ob und wenn ja wie das Bundesunternehmen DB Netz sich auf Probleme in diesem Bereich vorbereitet hat, ist zudem völlig unklar.

Dabei ist die fortschreitende Digitalisierung und die damit einhergehende Reduktion des Personalbedarfs ein wichtiger Schritt zur Problemlösung, denn die Zahl der geeigneten Schulabsolventen ist lange nicht so hoch wie die der jetzt zur Verrentung anstehenden Eisenbahner, die wir eigentlich so dringend bräuchten, bis sie weit über siebzig sind. Deshalb stehen die Zeichen für die vielzitierte starke Schiene schlecht. Da nutzt auch kein Tag der Schiene am Wochenende etwas, wenn am Montag wieder die Zugausfälle sind oder man abends mit dem Ersatzbus fahren muss, weil die Strecke mangels Fahrdienstleiter nicht mehr nutzbar ist.

Wobei: Auch beim Schienenersatzverkehr wachsen weder die Busse noch die notwendigen Busfahrer auf Bäumen, sodass also auch hier die Grenzen des machbaren im Zweifel schneller erreicht sind als viele Leute sich das jetzt noch vorstellen können. Gibt es einen Ausweg? Falls ja, dann wird dieser alles andere als einfach, sondern bedarf einer langfristigen und harten Kraftanstrengungen von Branchenakteuren und Politikern aus der Kommune bis in den Bund und die Länder.

Siehe auch: Eisenbahngipfel in Berlin
Foto: Bru-nO

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