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Bund und DB AG kündigen Hochleistungsnetz an

27.06.22 (Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Bahnchef Richard Lutz haben in Berlin Pläne für ein neues Hochleistungsnetz vorgestellt. Hintergrund sind aktuelle Zuverlässigkeits- und Qualitätsprobleme des Verkehrsträgers Schiene. Sie resultieren im Kern aus einem Kapazitäts- und Überalterungsproblem in der Infrastruktur. Das Hochleistungsnetz soll die am höchsten belasteten Schienenverbindungen in Deutschland umfassen.

Diese erstrecken sich heute über rund zehn Prozent des Gesamtnetzes. Rund 25 Prozent aller Züge durchfahren schon heute dieses Netz. Zusätzlich verzeichnet es bereits ohne Bautätigkeiten eine durchschnittliche Auslastung von rund 125 Prozent. Aufgrund der prognostizierten Verkehrsentwicklung wird die Länge dieses hoch belasteten Netzes von derzeit rund 3.500 Kilometer auf voraussichtlich über 9.000 Kilometer bis zum Ende dieses Jahrzehnts anwachsen.

Die Nutzungsintensität auf dem deutschen Schienennetz hat sich seit der Bahnreform 1994 bis 2021 um mehr als 60 Prozent erhöht. Die steigende Nachfrage trifft dabei auf ein Streckennetz und Bahnhöfe, die nicht mitgewachsen sind. Gleichzeitig hat sich der Zustand der Infrastruktur verschlechtert, weil viele Gleise, Weichen, Brücken und Stellwerke alt und damit störanfällig sind. Um die Modernisierung voranzutreiben, wird auf Rekordniveau gebaut.

Diese Baumaßnahmen kosten allerdings zusätzliche Kapazität, was insbesondere auf dem hoch belasteten Netz schmerzhaft ist. Mit steigender Auslastung wachsen Staueffekte und Unpünktlichkeit exponentiell an. Über eine Generalsanierung der wichtigsten Schienenkorridore soll sich nun das hoch belastete Netz bis 2030 zu einem Stabilitätsanker für die gesamte Schiene entwickeln. Störungen werden auf diesen Strecken stark reduziert und die Infrastruktur deutlich robuster.

Außerdem schaffen neue Kapazitäten nach den Arbeiten zusätzlichen Platz für mehr klimafreundlichen Verkehr auf der Schiene. Kunden des Güter- und Personenverkehrs werden einen deutlichen Vorher-Nachher-Unterschied feststellen. Die Industrie profitiert von erstklassigen Güterverkehrskorridoren. Für Fahrgäste wird dabei auch die Attraktivität der Bahnhöfe gesteigert.

Eisenbahnverkehrsunternehmen und Aufgabenträger können nach der Generalsanierung ein besseres Angebot machen. Nach Plänen der DB werden bei der Generalsanierung des Hochleistungsnetzes alle überalterten und störanfälligen Anlagen komplett ersetzt und verbessert. Damit wird der Investitionsrückstau hier umfassend beseitigt.

Der Bundesverband Schienennahverkehr (BSN) steht diesen Plänen skeptisch gegenüber, denn: „Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“, so Thomas Prechtl, Präsident des Bundesverbands Schienennahverkehr. „Seit Jahren fordern wir bereits, dass Netz und Station & Service ihre Baumaßnahmen aufeinander abstimmen sollen. Fehlende Koordination und unterschiedliches Anlagenalter darf nicht zu mehrfachen Baustellenphasen führen. Was soll also neu sein an den vorgelegten Plänen? Die Ankündigungen von Besserung hören wir jedes Jahr aufs Neue. Doch die strukturellen Defizite werden nicht abgebaut. Dies geht zu Lasten der Fahrgäste, der Verkehrsunternehmen und der Aufgabenträger.“

Wenn nun verkündet wird, alle Baumaßnahmen der nächsten zehn Jahre in einem „Rutsch“ durchzuführen, stellt sich die Frage: Was genau ist damit gemeint? Oberbau, Oberleitung, Brücken sowie Stationen inklusive Bahnsteigverlängerungen und ggf. notwendigen Bahnsteigerhöhungen? Und ist ETCS ebenfalls enthalten?

Mofair-Präsident Tobias Heinemann schließt sich dieser Kritik inhaltlich an: „Das vermeintlich neue ‚radikale Bauen‘ könnten die DB-Infrastrukturtöchter bereits heute praktizieren. Es ist nicht verboten, nicht voll abgeschriebene Gewerke zu erneuern, wenn eine Strecke grundsaniert werden soll. Auch Modernisierungen sind möglich.“

Tobias Heinemann: „Das Problem sind vielmehr schlecht organisierte Prozesse bei der Baustellenplanung, der Beschaffung und der Kommunikation und vor allem die Gewinnorientierung der DB-Infrastrukturtöchter, die einer Qualitätsorientierung heute im Wege stehen. Es ist zwar richtig, dass wir insgesamt mehr Geld für Instandhaltung, Aus- und Neubau und die Digitalisierung der Schiene brauchen. Den notwendigen Vertrauensvorschuss kann aber nur ein reformierter DB-Konzern beanspruchen. Mehr Mittel gibt es nur im Paket mit Strukturreformen.“

Siehe auch: Realistisch in die nahe Zukunft blicken

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