Eisenbahnjournal Zughalt.de

Nachrichten über Eisenbahn und öffentlichen Verkehr

Die Chancen nutzen, die sich bieten

09.06.22 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Das Pfingstwochenende hat einen Vorgeschmack auf die kommenden drei Monate gegeben und gezeigt, dass öffentliche Verkehrsmittel aufgrund des massiven Andrangs unbenutzbar zu werden drohen. Wenn Leute, die vielleicht seit Jahren oder Jahrzehnten Stammkunden sind und viel Geld für ihre Zeitkarten bezahlen, nicht in den Regionalzügen mitgenommen werden können, weil diese überfüllt sind mit Neufahrgästen, die es nur mal ausprobieren wollen, dann haben wir natürlich ein Problem.

Wir sehen aber auch, dass sehr wohl potentielle Nachfrage da ist, wenn Busse und Bahnen zu einem erschwinglichen Preis nutzbar sind. Dabei sollte man sich auch Gedanken über Themen machen, die vorher schon da sind, etwa ein 365-Euro-Jahresticket, das es ermöglicht, für einen Euro am Tag mobil zu sein. Was wir jetzt erleben ist dass vielen Millionen Menschen in Deutschland, die bislang immer mit ihrem eigenen Auto unterwegs waren, ins Bewusstsein gerufen wird, dass es einen ÖPNV gibt.

Das gilt für den Kleinstadtbewohner, bei dem dreimal am Tag der Bus fährt ebenso wie für jemanden in Berlin-Mitte oder in der Kölner Altstadt. Wenn die Tagesschau in ihrer Hauptausgabe über die Eisenbahn berichtet, dann ist entweder GDL-Streik oder der große #9für90-Sommer. Für die Eisenbahnbranche gilt es jetzt, etwas aus dieser einmaligen Chance zu machen und dafür zu sorgen, dass auch solche Leute, die bislang nicht auf der Schiene unterwegs waren, Geschmack finden.

Auf keinen Fall sollte man riskieren, dass diejenigen, die schon lange dabei sind, auf ihr eigenes Auto umsteigen. Der Effekt soll ja positiv sein. Hier sind alle Eisenbahnunternehmen gefordert, zusammenzuarbeiten, Rollmaterial ggf. zusammenzuziehen und Mitarbeiter evtl. mit finanziellen Anreizen dazu zu bringen, ihren Sommerurlaub zu verschieben. An dieser Form der Mehrkosten müssen sich die Aufgabenträger beteiligen. Wir sind in einer Sondersituation, einer historisch einmaligen Chance. Jetzt kann man natürlich sagen, dass das alles schlecht vorbereitet war, mit niemandem abgesprochen und vieles mehr.

Das stimmt auch. Aber leider kommt es unter Eisenbahnern immer wieder vor, dass man sich darauf einigt, was alles nicht geht und dabei aus den Augen verliert, was möglich ist und was die Schiene zu leisten imstande ist. Mit dieser Einstellung muss man bundesweit in diesen historischen Sommer reingehen: Wir haben jetzt hier die Chance, richtig was auf die Beine zu stellen, die Eisenbahn wird auf eine Art und Weise gestärkt, wie es das noch nie gab.

Gleichzeitig muss man all die Ressourcen aufbauen, die man nicht per Knopfdruck mit Geld anschaffen kann: Mehr Mitarbeiter ausbilden, Werkstattkapazitäten hochfahren, die Infrastruktur leistungsfähiger machen und vieles mehr, sodass wir wirklich das haben, was die Politik fordert: Eine starke Schiene. Nicht teure Spritpreise oder schlechte Straßen stärken die Eisenbahn, sondern die Eisenbahn muss ihre eigenen Stärken systematisch ausspielen. Diese Chance ist jetzt da ist und man muss sie auch nutzen für eine echte Verkehrswende.

Siehe auch: #9für90: Zusätzliche Fahrten in Nordrhein-Westfalen
Foto: Didgeman

Kommentare sind geschlossen.