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Kleinere Brötchen backen

02.06.22 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Als vor einigen Jahren völlig willkürliche Ankündigungen gemacht wurden, dass man das Transportvolumen auf der Schiene verdoppeln oder sogar um andere Faktoren vervielfältigen möchte, da hätte man im Grunde sofort die Fragen stellen müssen, wie das gelingen soll und wenn es gelingt, wie die Infrastruktur diese Verkehrsmassen denn aufnehmen soll. Wir sprechen über einen Deutschlandtakt im Personenverkehr, über deutlich mehr Güterverkehr auf der Schiene und über eine Stärkung sowohl des SPNV als auch des SPFV, aber die realen Grenzen sind längst erreicht.

Selbst die verstärkten Bauaktivitäten in den letzten Jahren, die ja eigentlich langfristig zu einer leistungsfähigeren Infrastruktur führen sollen, sind kurzfristig inzwischen so problematisch, dass sie die Eisenbahn für die Fahrgast uninteressant machen (schon wieder Busverkehr? Da fahre ich doch lieber mit dem Auto) und die die Verkehrsunternehmen auf der Schiene in ernsthafte Bedrängnis bringen.

Das Schutzschirmverfahren von Abellio und der Ausstieg des Keolis-Konzerns aus der Eurobahn belegen, dass es scheinbar gar nicht so attraktiv ist, in Deutschland am Eisenbahngeschehen teilzunehmen, auch dann nicht, wenn die DB AG mit Arriva im eigenen Heimatmarkt für Konkurrenz sorgt. Aber wenn wir dann versuchen, im deutschen Inland ernsthaft die Schiene stärken zu wollen, dann stellen wir fest, dass unabhängig von der Situation bei den Verkehrsunternehmen schon der bundeseigene Infrastrukturbetreiber offensichtlich nicht in der Lage ist, eine ernsthafte Verkehrsverlagerung durchzuführen.

Im Gegenteil, wenn ernsthaft davon gesprochen wird, vorübergehend mehr Verkehr auf der Straße zu haben, um in dieser Zeit die Schiene zu stärken, dann zeigt das doch, mit welchem politischen Desinteresse die bundesdeutsche Verkehrspolitik jahrzehntelang an die Eisenbahn herangegangen ist. Und tatsächlich: Da war die alte Behördenbahn ein Schattenhaushalt, eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, aber als Eisenbahn hat man sie vernachlässigt. Das Ziel, den Verkehrsträger Schiene mit der Eisenbahnreform zu stärken, hat man mit den rot-grünen Börsengangsplänen schon nach sehr kurzer Zeit verworfen.

Das Netz sollte börsenfähig sein, jede ausgebaute Weiche wurde als Erfolg verkauft. Jetzt muss man das Netz, das jahrzehntelang auf Verschleiß gefahren und dann kaputtgespart wurde, fit machen für eine Zukunft, die längst angefangen hat. Und wenn man sich das ernsthaft anguckt, stellt man fest, dass es sinnvoll wäre, zunächst kleinere Brötchen zu backen.

Zuerst muss der jetzige Verkehrsanteil auf der Schiene konsolidiert werden. Dann muss man im Rahmen dessen, was möglich ist (Stichwort Bau- und Rohstoffmangel) die Infrastruktur so ausbauen, dass man ohne kurzfristige Kapazitätsverluste langfristig die Leistungsfähigkeit steigern kann. Das wird sicher nicht in einer Legislaturperiode zu machen sein, aber wenn man das mit der Verkehrswende ernsthaft vorantreiben will, muss man jetzt anfangen und über Jahrzehnte am Ball bleiben.

Siehe auch: DB AG plant massiven Infrastrukturausbau
Foto: Deutsche Bahn AG / Georg Wagner

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