Eisenbahnjournal Zughalt.de

Nachrichten über Eisenbahn und öffentlichen Verkehr

Oberleitungen müssen die Regel sein

24.03.22 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Dass weniger als zwei Drittel des deutschen Eisenbahnnetzes elektrifiziert sind, stellt unserem Land ein infrastrukturpolitisches Armutszeugnis aus. Während die elektrische Traktion in anderen Ländern längst die Regel ist, müssen wir noch immer wegen nicht elektrifizierter Abschnitte entweder unter Fahrdraht mit Dieselzügen fahren, künstliche Bruchstellen schaffen oder drauf hoffen, dass Technologien, die nie ernsthaft in der Praxis zum Einsatz gekommen sind, nun auf Jahrzehnte problemlos funktionieren.

Denn wenn man jetzt Fahrzeuge anschafft, die wie ein Wunder auf elektrifizierten Abschnitten aus der Oberleitung nachladen können, um dann auf nicht elektrifizierten Abschnitten mit batterieelektrischer Traktion zu verkehren, dann zementiert man den Zustand der nicht vorhandenen Oberleitung auf Jahrzehnte. Die Züge, die jetzt angeschafft und in einigen Jahren zum Einsatz kommen sollen, werden bis weit in die 2050er Jahre fahren, vielleicht gar ins ins Jahr 2060. So wie ja auch heute Fahrzeuge, die vor 1992 angeschafft worden sind auf der Schiene noch immer das Alltagsbild mitprägen.

Der Druck, die Elektrifizierungen voranzutreiben, wird also gerade nicht erhöht, sondern erstmal ist ja Ruhe, weil ohnehin keine Oberleitung benötigt wird – oder erst zu einem Zeitpunkt, der soweit in der Zukunft liegt, dass man sich jetzt keine Gedanken darüber machen muss. Deshalb sind alle gefordert, an der Elektrifizierungsoffensive mitzuarbeiten. Und auch ein Aufgabenträger kann sich durchaus beteiligen und wird feststellen, dass man die Kosten relativ schnell wieder drin hat, wenn man so eine Oberleitung bauen lässt ohne dass man dabei auf die Eigeninitiative des Bundesunternehmens DB Energie wartet.

Da ist auch die von Martin Henke geäußerte Idee richtig, dass man nicht für jede Strecke ein teures Gutachten erstellen lassen muss, von dem man am Ende weiß, dass der Kosten-Nutzen-Koeffizient über 1,0 liegen wird. Hier kann man sich durchaus auf allgemeine Erfahrungswerte berufen. Und man muss sich auch Gedanken machen, wieviel wirtschaftlicher die Eisenbahn werden kann, wenn mit der Oberleitung plötzlich auch wieder Güterverkehr vereinfacht möglich ist, weil man ja jetzt eine elektrifizierte Strecke hat.

Es möchte ja niemand zurück in die Pionierzeit der Eisenbahn, als man auf gut Glück Gleise gebaut hat, in der Hoffnung, man werde schon irgendwann ankommen. Aber man kann auf Basis praktischer Erfahrungen sehr wohl davon ausgehen, dass eine Strecke, die Halbstundentakt im SPNV befahren wird und die darüber hinaus zwischen zwei Güterzügen die Woche und zwölf am Tag befahren wird, auch hier eine gewisse Relevanz hat, sodass der Nutzen weiter steigt.

Hier kann man sehr wohl mit pauschalen Werten arbeiten, um die Planung und das Genehmigungsverfahren zu erleichtern. Ob man wirklich bis 2030 drei Viertel des Eisenbahnnetzes wird elektrifizieren können, darf wohl bezweifelt werden. Aber das heißt nicht, dass man keine ambitionierten Pläne schmieden sollte, um die Eisenbahn deutlich zu verbessern.

Siehe auch: Schnellere Elektrifizierungen gefordert
Foto: Deutsche Bahn AG / Frank Kniestedt

Kommentare sind geschlossen.