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Zehn Jahre Abellio-Urteil

08.02.21 (Verkehrspolitik, VRR) Autor:Stefan Hennigfeld

Heute vor zehn Jahren verkündete der Bundesgerichtshof einen wegweisenden Beschluss: Die Beschwerde der Abellio Rail NRW GmbH gegen die Direktvergabe der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr AöR an die DB Regio NRW GmbH war berechtigt und somit ist höchstrichterlich entschieden worden, dass das Vergaberecht auch für Eisenbahnleistungen einzuhalten ist.

Die Regelungen im Allgemeinen Eisenbahngesetz, die ausdrücklich auch eine Direktvergabe vorsieht, sind im Vergleich zum Vergaberecht nachrangig. Da ist es eine amüsante Beinote, dass die damalige rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen über eine Bundesratsinitiative versuchen wollte, mit einer Änderung des AEG genau diesen BGH-Beschluss zu verhindern, der später als Abellio-Urteil in die deutsche Eisenbahngeschichte eingegangen ist.

Der heutige VRR-Vorstandssprecher Ronald Lünser und damals Geschäftsführer bei Abellio Rail NRW, erklärt die Situation: „Im Mittelpunkt stand die Frage, ob SPNV-Direktvergaben generell erlaubt sind und somit die Frage welchem Gesetz der Vorzug gegeben wird, dem das Allgemeine Eisenbahngesetz, das Direktvergaben ermöglicht oder dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Der BGH hat sich mit seiner Entscheidung gegen das AEG gestellt und das war der erste Gewinn für Branche und Wettbewerb, nämlich die Rechtsklarheit das alle künftigen Verkehrsleistungen im gesamtdeutschen SPNV auszuschreiben sind.“

Damals liefen bundesweit langfristige Verkehrsverträge aus, die DB Regio rund um die Jahrtausendwende überall akquiriert hat. In der damaligen Zeit kam knapp die Hälfte des jährlichen Konzerngewinns direkt von DB Regio. Dieser Gewinn kam allerdings nicht aus wettbewerblich vergebenen Netzen, sondern aus den großen Direktvergaben. Verständlicherweise hat man in dieser Zeit das gesamte politische Gewicht in die Waagschale geworfen, um diesen BGH-Beschluss zu verhindern bzw. im Anschluss eine Gesetzesänderung voranzutreiben.

Noch gut ein Jahr nach dem Abellio-Urteil, im Juni 2012, sagte der VDV-Eisenbahngeschäftsführer Martin Henke im Eisenbahnjournal Zughalt.de: „Die Direktvergabe ist eines der Mittel aus dem Werkzeugkasten eines Aufgabenträgers und aus meiner Sicht sollte man diesen Werkzeugkasten nicht von vornherein zu klein machen. Man hat gesehen, dass sich die Situation im Markt immer noch entwickelt und dass man dort eben gegebenenfalls gegensteuern muss.“ Viele Jahre später indes heißt es beim VDV auf Anfrage, dass man nicht erneut in die alten Debatten einsteigen möchte, man hat sich mit der Situation abgefunden.

Und wie diese heute aussieht, erklärt Ronald Lünser: „Sehr wahrscheinlich hätte sich der SPNV-Wettbewerbsmarkt ohne das Urteil weder in seiner Vielfalt – neue Teilnehmer, neue Modelle – und erst recht nicht in einer Dekade so entwickelt, wie er es mit dem Urteil letztendlich getan hat. Insofern war der Prozess und das Urteil enorm wichtig, weil die Auswirkungen weit über Teilnehmer und Modelle hinausreicht, wenn man an Monopolpreise, Innovationen, Angebotserweiterung und Fahrgastnutzen denkt.“

In dieser Zeit hat der VRR 92 Prozent seiner Betriebsleistung wettbewerblich vergeben und betreibt 25 Verkehrsverträge mit verschiedenen Betreibern. Lünser: „Es gibt keine Monopolstrukturen und neben der DB erbringen heute sieben Eisenbahnverkehrsunternehmen im Auftrag des VRR mit 56 Prozent Marktanteil die Verkehrsleistungen im Verbundraum, mit einer deutlich verbesserten Qualität, einer Kundenzufriedenheit mit Ø Note 2,2 und zu wirtschaftlichen Konditionen.“

Trotzdem muss man nach zehn Jahren auch in die Zukunft schauen: Während DB Regio und VDV in der damaligen Zeit stets vor einem vermeintlichen Erstellermangel gewarnt haben, den man nur mit einer großen Zahl an Direktvergaben und langfristigen Vertragsverlängerungen zugunsten von DB Regio abmildern könnte, hat sich die Marktsituation heute anders entwickelt.

Mit Go-Ahead und National Express sind unmittelbar nach dem Abellio-Urteil zwei große Akteure in den Markt eingetreten, die zwar jahrzehntelang aktive Unternehmen sind, den deutschen Markt aber bis dato nur von außen beobachtet haben. Dennoch muss man bei kommenden Verkehrsverträgen sicherstellen, dass diese langfristig auskömmlich bleiben. Aktuell arbeitet man etwa in Nordrhein-Westfalen am Modell „Verkehrsvertrag 2.0“, das genau hier Abhilfe schaffen soll. So soll die marktwirtschaftliche Struktur gesichert und ruinöser Wettbewerb verhindert werden.

Siehe auch: Abellio-Urteil: Auf die nächsten zehn Jahre Marktwirtschaft

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