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Studie zu verändertem Nutzerverhalten

14.01.21 (Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Vor der Krise noch auf einem stetigen Wachstumspfad hat sich das ÖPNV-Fahrtenvolumen kurzzeitig Richtung Null bewegt, um sich nach Ende des ersten Lockdowns ab Mai 2020 wieder zu erholen. Abschätzungen der „Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität“ gingen vor der Corona-Pandemie davon aus, dass die CO2-Reduzierungsziele im Verkehrssektor erreichbar sind, falls der Modal-Split des ÖPNV am Gesamtverkehr bis 2030 um ein Drittel ansteigt. Allerdings wurde die langjährig positive Entwicklung im ÖPNV durch die Corona-Krise dramatisch unterbrochen. Umso mehr stellt sich die Frage, welche Entwicklungsmöglichkeiten für Busse und Bahnen bis zum Ende und nach der Pandemie bestehen.

„Besondere Herausforderungen für eine positive Nachfrageentwicklung von Bussen und Bahnen in 2021 sind zum einen die weiter bestehenden Kontaktängste der Kunden in den Fahrzeugen. Denn diese werden auch bestehen bleiben, wenn größere Anteile der Bevölkerung geimpft sind. Und zum anderen zeigt sich die veränderte Arbeitsorganisation (häufig mit dem Stichwort Homeoffice gleichgesetzt) als große Herausforderung“, betont Johannes Hercher, Vorstand der Rogator AG, in deren Auftrag eine umfassende Studie zum veränderten Nutzerverhalten des Jahres 2020 erstellt wurde.

Der ÖPNV verliert in der Corona-Krise zweifach: Erstens ist die Mobilität während der Corona-Krise in Städten insgesamt gesunken. Während 2018 noch 42 Prozent der Befragten angaben, jeden Tag im Stadtgebiet unterwegs zu sein, ist der korrespondierende Werte im November und Dezember 2020 auf 22 Prozent zurückgegangen (ein starker Treiber ist dabei die Tätigkeit im Homeoffice). Lag der Anteil von Personen, die nicht im Stadtgebiet unterwegs sind in 2018 bei rund vier Prozent, hat sich dieser in Zeiten von Corona mehr als verdoppelt (neun Prozent).

Zweitens hat eine Verlagerung zwischen den Verkehrsmitteln stattgefunden, und zwar zu Lasten des ÖPNV. Eine Nutzung von Bahn/S-Bahn/U-Bahn/Straßenbahn geben aktuell nur 15 Prozent der im Stadtgebiet mobilen Bevölkerung an (2018: 26 Prozent), bei Bussen sind dies 18 Prozent (2018: 22 Prozent). Weiterhin dominierend ist der Pkw als Verkehrsmittel. Einen starken Zuwachs bei der Nutzerquote erreicht das Fahrrad (aktuell 26 Prozent vs. 19 Prozent in 2018) und die Mitfahrt im Pkw (aktuell 13 Prozent vs. Acht Prozent in 2018).

Zwar lassen sich auch Zuwächse im Bereich der Sharing Economy identifizieren, diese spielen aber weiterhin für die Stadtmobilität nur eine eingeschränkte Rolle. Für die örtlichen Verkehrsunternehmen haben die Besitzer von Zeitkarten eine strategische Bedeutung, entfallen doch die größten Anteile der Fahrten und Einnahmen auf dieses Kundensegment. In Deutschland besitzen 19 Prozent der Befragten eine Zeitkarte im Verbundtarif (25 Prozent in Österreich, 27 Prozent in der Schweiz und 21 Prozent in Schweden).

Mehr als jeder zehnte Zeitkarteninhaber beabsichtigt, das Verbund-Abo zukünftig nicht mehr zu nutzen. Bei Befragten mit Besitz eines Verbund-Abos und mehr als fünfzig Prozent Tätigkeit im Homeoffice ist das „Exit-Risiko“ aus dem ABO stark erhöht (16 Prozent vs. acht Prozent bei Tätigkeit ohne Homeoffice). In den Ergebnissen kommt einerseits eine überwiegend hohe Loyalität der ÖPNV-Stammkunden zum Ausdruck, anderseits auch die zukünftig zunehmende Arbeit von zuhause als Treiber für den Zeitkarten-Bestand.

Geeignete Maßnahmen, um einen Bestandsrückgang bei Abonnenten zu vermeiden, werden aktuell stark diskutiert. Dabei stehen vielfach alternative Ticketmodelle im Vordergrund. Auch fast ein Dreivierteljahr nach Ausbruch der Pandemie spielen die Aspekte Maskenpflicht und Abstandsregelungen eine weiterhin wichtige Rolle. In der Schweiz fühlen sich 63 Prozent der Befragten durch die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln sicher vor einer Ansteckung, 37 Prozent fühlen sich trotz Maskenpflicht nicht sicher.

Deutlich schlechter ist die Momentaufnahme für Deutschland: Nur 42 Prozent der Deutschen fühlen sich im ÖPNV sicher vor einer Infektion, 58 Prozent dagegen nicht. Bei älteren Fahrgästen ist die gefühlte Unsicherheit besonders groß. Die kritischen Ergebnisse für Deutschland haben auch dann Bestand, wenn nur die Zeitkarteninhaber als Stammkunden des ÖPNV untersucht werden. Entsprechend ist also die Kontrolle der Maskenpflicht ebenso ein Thema wie die Frage nach der künftigen Zahl der Stammkunden. Die Branche wird darauf in naher Zukunft Antworten finden müssen.

Siehe auch: Digitalisierte Bestpreisabrechnung statt Monatsmarken

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