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Erst die Pflicht und dann die Kür

12.11.20 (Kommentar, Nordrhein-Westfalen) Autor:Stefan Hennigfeld

Man kann, auch im urbanen Raum, nicht alle denkbaren Verbindungen sinnvoll mit öffentlichen Verkehrsmitteln abdecken. Hier sind wichtige Relationen auszuwählen, Reisendenanalysen vorzunehmen und dann muss man sich Gedanken machen, wie man Busse und Bahnen fahren lässt und wo man sich auf andere Alternativen beschränken muss. Wobei das Potential auch der konventionellen Angebote längst nicht ausgeschöpft ist.

Ich habe meine Zweifel, ob wirklich überall nach dem Prinzip des integralen Taktfahrplans gearbeitet wird und ob die Busse wirklich immer optimal an den Schienenverkehr angebunden sind. Ein solches Beispiel gibt es noch immer bei mir vor der Haustür in Witten: Abends nach 20 Uhr fährt die Buslinie 376 im Stundentakt und zur Minute 35 vom Hauptbahnhof. Vier Minuten später kommt der Wupperexpress (RE 4) aus der Landeshauptstadt Düsseldorf – theoretisch muss man jetzt 56 Minuten auf den Bus warten.

Das hat mit Mobilitätsverfügbarkeit nur wenig zu tun und das könnten kommunale Aufgabenträger jederzeit ändern, wenn der politische Wille vorhanden wäre. Wahrscheinlich könnte es, angesichts des Desinteresses vieler Stadt- und Kreisverwaltungen an ihrer Eigenschaft als Aufgabenträger, sehr häufig auch die Verkehrsbetriebe selbst tun. Möglicherweise wäre, auch wenn man mir wieder Polemik vorwirft, der beste wirklich, wenn man allen ÖPNV-Funktionären für sechs Wochen ihren Dienstwagen und ihren Fahrer wegnimmt.

Ich bin sicher, in einem solchen Fall ließen sich offensichtliche Verbesserungen sehr kurzfristig durchführen – auch solche, von denen man jetzt noch sagt, bereits die Frage danach sei unsachlich. Vor allen Dingen aber gibt es in Deutschland eine ganze Reihe potentieller Verbesserungen, die man ohne Fördergelder vom Bund oder der Länder durchsetzen kann und die auch nicht die Hilfe eines Verkehrsminister brauchen.

Hierfür sind kompetente Leute in den Planungsämtern verantwortlich, engagierte Fahrgastbeiräte und vor allen Dingen braucht man eine Kultur des Zuhörens und Offenheit für gute Argumente, um in den Kommunen mit nur geringen oder ganz ohne Zusatzkosten eine Menge auf den Weg zu bringen. Das heißt nicht, dass man nicht auch mit Mitteln des Bundes oder der Ländern auf neuartige Dienste zurückgreifen sollte, im Gegenteil: Der Rufbetrieb, die Carsharingautos oder auch die Fahrradverleihstationen, die man idealerweise gleich mit der App nutzen und über das Monatsticket abrechnen kann, sind natürlich wichtig für die Zukunft.

Sie können aber die grundständigen Aufgaben nicht ersetzen, die die Kommunen selbst erledigen müssen. Aber es ist zumindest erfreulich, dass es in der Politik ein Problembewusstsein für neue Mobilitätsformen gibt und dass man mit einem guten Angebot die Leute auf Busse, Bahnen und andere multimodale Angebote locken kann. Die Zeiten, dass der ÖPNV wahlweise als Finanzsteinbruch oder als Sozialleistung betrachtet wird, sind vorbei. Das ist eine positive Entwicklung der letzten Jahre, die hoffentlich auch nach Corona bleiben wird.

Siehe auch: NRW: Landesregierung stärkt Rufbetrieb

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