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Es hat wirklich BER-Ausmaße

17.08.20 (Europa, Fernverkehr, Güterverkehr, Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Die Havarie von Rastatt hat nicht die mediale Aufmerksamkeit, die beispielsweise der Berliner Flughafen oder Stuttgart 21 haben, dabei passt es sehr gut ins Bild zu den infrastrukturpolitischen Gesamtzuständen in unserem Land: Wir kriegen es nicht mehr gebacken, uns fit für die Zukunft zu machen. Der Hauptstadtflughafen soll ja jetzt nach der Corona-Krise endlich fertig werden, aber er ist dennoch so dimensioniert, dass man in Leipzig ganz gezielt um Fluggäste wirbt, die in die Hauptstadt wollen und die ihre letzte Meile mit dem ICE machen.

Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nummer 8 von Berlin über Sachsen nach Nürnberg und München ist ja fast dreißig Jahre nach Mauerfall und Einheit endlich in die Tat umgesetzt worden. Nach bravo, man stelle sich einmal vor, man hätte im 19. Jahrhundert in diesem Tempo Eisenbahnstrecken gebaut. Damals hat man in wenigen Jahren aus dem Nichts ein flächendeckendes Eisenbahnnetz in Deutschland gebaut, das rund hundert Jahre hielt und dann ab 1945 sukzessive zurückgebaut wurde.

Die alte Behördenbahn hat einen Kahlschlag betrieben, den man wohl nie wieder wird heilen können. Wichtige oder zumindest prominente Großprojekte unserer Zeit wie die zweite Stammstrecke in München der Rhein-Ruhr-Express oder Stuttgart 21 (das ich nicht für sinnvoll, wohl aber für symptomatisch halte) werden zwar immer teurer, kommen jedoch nicht voran. In der Schweiz ist der Gotthard-Basistunnel in Betrieb, die Betuwe-Linie in den Niederlanden ist schon lange im Eisenbahnbetrieb angekommen, aber auf deutscher Seite kommt man nicht voran.

Das ist für das einstige Land der Dichter und Denker unwürdig. Im Frühjahr ist wieder die Innotrans in Berlin, wenn auch deutsche Firmen ihre Top-Produkte vorstellen, um sie in alle Welt zu verkaufen. Nur bei uns selbst, da will es alles nicht funktionieren, da wird es immer teurer, da hat man immer Verzögerungen und andere Länder sind schneller. Doch was machen wir für einen Eindruck, wenn man der Welt nicht zeigen kann, dass die eigene zum Export vorgesehene Technologie im Heimatmarkt funktioniert?

Die Deutschen kriegen das doch nicht mal bei sich selbst gebacken, wie sollen die denn dann woanders etwas auf die Beine stellen? Die gute Nachricht ist: Deutsche Firmen können überall auf der Welt gute Produkte bauen, in Deutschland ist nicht das fehlende Know-How der Firmen das Problem, sondern Bürokratie und eine behäbige Politik. Das muss sich ändern, hier muss man einerseits die Bürger so mitnehmen, dass man Proteste und Missstimmungen vermeidet, andererseits braucht man aber auch schnelle Rechtssicherheit, damit man eben nicht über Jahre hinaus planen muss, ohne dass man bauen kann.

Ganz aktuell steht in meinem Wohnort Witten eine Straßenbahn-Neutrassierung vor der Einweihung. Diese war schon 2010 geplant, die Planungs- und Bauarbeiten haben etwa eine Generation gedauert. Das ist nicht die Zukunftsfähigkeit, die wir brauchen. Wir müssen zurück zum alten Pioniergeist aus den Anfangstagen der Eisenbahn.

Siehe auch: Drei Jahre nach der Rastatt-Havarie

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