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Der ÖPNV ist kein reiner Kostenfaktor

04.05.20 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Wenn am Ende eines rund zehn Jahre andauernden konjunkturellen Aufschwungs die natürliche Delle ansteht und dann die Wirtschaft wegen der Corona-Pandemie runtergefahren werden muss, dann liegt es in der Natur der Sache, dass mit politischen Mitteln gegengesteuert wird. So wie man 2009 ein bundesweites Konjunkturprogramm aufgelegt hat, um die Infrastruktur zu stärken und Nachfrage zu generieren, so wird man dies auch jetzt tun.

Die Automobilindustrie ist dabei eine der wichtigsten Industrien im Land und genießt naturgemäß eine besondere politische Aufmerksamkeit. Doch auch der öffentliche Verkehr spielt hier eine Rolle, die unsere Politik leider gern vergisst. Ich habe hier im Ruhrgebiet einige Rettungen des Opel-Standortes Bochum miterlebt, immer wieder waren die dortigen Arbeitsplätze das zentrale Argument dafür.

Schon vor Jahren konnte man aber feststellen, dass die Bogestra als örtliches Verkehrsunternehmen in den Jahren vor der Opel-Schließung ein ähnlich großer Arbeitgeber in der Region war – und bis heute ist. Der Straßenbahnfahrer hat seinen Job noch, der Opelaner ist entweder arbeitslos oder in einem anderen Job tätig, ja vielleicht sogar im Bereich des öffentlichen Verkehrs. In Köln stellen sich 18.000 Ford-Mitarbeiter zu 3.500 KVB-Mitarbeitern etwas anders, aber dennoch sind Busse und Bahnen ein wichtiger Faktor auf dem Arbeitsmarkt.

Wir sehen das auch daran, wie händeringend die Verkehrsunternehmen vor der Krise nach neuen Mitarbeitern gesucht haben. Man brauchte die Lokomotivführer, Straßenbahnfahrer, Busfahren, die Mechatroniker in den Werkstätten, Kundenbetreuer in den Fahrzeugen und viele, viele andere Berufsgruppen. Entscheidend ist dennoch der Unterschied in der Wahrnehmung.

Während der Ford-Mitarbeiter einen erhaltenswerten Arbeitsplatz hat, kostet der Straßenbahnfahrer der KVB nur Geld. Jetzt kann man in einer perfekten Welt argumentieren, dass der Mitarbeiter in der Automobil- oder Automobilzulieferindustrie mit seinen Steuern und Abgaben dazu beiträgt, dass der strukturell defizitäre Nahverkehr finanziert wird.

Hier liegen zwei Gegenargumente auf der Hand: Einerseits scheinen ja die zu rettenden Jobs gerade nicht (oder nicht mehr) aus sich selbst heraus profitabel zu sein. Selbst die institutionalisierten Rettungskonzepte wie etwa die Kurzarbeit bei Auftragsflauten scheinen nicht zu wirken, wenn die Politik eingreifen muss. Andererseits haben wir gerade mit der öffentlichen Daseinsvorsorge, zu denen auch Busse und Bahnen zählen, einen Sektor erreicht, der seinerseits die Grundlage dafür schafft, dass Betriebe sich ansiedeln, Jobs schaffen und zu unserer Wirtschaft beitragen.

Wenn auch Busse und Bahnen aus der rein betriebswirtschaftlichen Sicht strukturell defizitär sein mögen, so ist es doch notwendig, sie als Grundlage für ein Wiederanfahren der Wirtschaft (spätestens) nach den Sommerferien zu erhalten. Hier die finanziellen Grundlagen zu schaffen, ist jetzt politisch sicherzustellen. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Deutschland vorne bleibt – auch langfristig.

Siehe auch: Mobilitätsprämie statt Autokaufprämie gefordert

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