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Visionen und grundständige Aufgaben

05.03.20 (Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Die Annahme, man könne die zahllosen unterschiedlichen und zum Teil nach komplett verschiedenen Logiken aufgebauten Verbundtarife bundesweit angleichen, ist natürlich sehr visionär und wirkt auf den ersten Blick unrealistisch. Doch ist das wirklich so? Und muss nicht irgendwann mal einer anfangen, sich Gedanken drum zu machen, wie man auf eine solche Vision zuarbeiten kann? Ich sage: Ja!

Die Visionäre halten die Welt in Atem und nicht die Erbsenzähler. Ich weiß selbst, dass Eisenbahner dazu neigen, einem für jede Lösung ein neues Problem zu präsentieren. Doch genau damit macht man gar nichts besser. Wir alle wissen, dass der bundesweite Einheitsverbundtarif nicht zum nächsten Jahreswechsel kommen wird, aber ein konstruktives und sukzessives Darauf-Hinarbeiten kann in keinem Fall schaden.

Und dann wird manch ein Münchener in Hamburg und manch ein Kölner in Berlin nicht mehr verwundert vor dem Fahrscheinautomaten stehen und sich fragen, was er jetzt für einen Tarif braucht, ob er versehentlich ein Grau- oder Schwarzfahrer wird oder ob er ein Ticket kauft, das viel zu teuer, weil in dieser Preiskategorie gar nicht benötigt wird.

So werden Zugangsbarrieren abgebaut, die womöglich objektiv gar nicht so dramatisch sein mögen, aber subjektiv den einen oder anderen doch zu seinem eigenen PKW führen. Und das möchte man doch vermeiden. Dazu gehört aber auch, dass man in laufenden Verkehrsverträgen gewisse Veränderungen und Modernisierungen vornehmen kann. Genau das ist mit atmenden Verträgen gemeint.

Im Zeitalter der Digitalisierung kommt der Fortschritt manchmal so schnell, dass man nicht bis zur nächsten Vertragsperiode warten kann, zumindest nicht ohne dass es im Vergleich zum Konkurrenten einen Wettbewerbsnachteil gibt. Hier zu reagieren muss kurzfristig möglich sein. Es gibt also verschiedene Ebenen, auf denen man für eine gute Eisenbahn sorgen kann und muss.

Ein weiterer, in Fulda angesprochener Punkt ist die Personalgewinnung. Das sind die grundständigen Dinge, die gelöst werden müssen, auch wenn das die Bearbeitungen großer Visionen nicht ausschließt. Besonders erfreulich ist aber, dass das Thema der unabhängigen Infrastruktur noch einmal angesprochen worden ist. Diese „Trennung von Netz und Betrieb“ gibt es ja in der Realität bereits. Durch die größtenteils unabhängig voneinander operierenden Konzerngesellschaften innerhalb der DB AG hat man die möglichen Synergieeffekte ja gar nicht in der Form, in der es immer erzählt wird.

Im Gegenteil: Wenn es Konflikte zwischen DB Regio und DB Netz gibt, sind DB Regio die Hände gebunden wegen des Konzernfriedens, während DB Netz gerade nicht auf dem „kurzen Dienstweg“ Klärungen mit DB Regio führen kann; im übrigen auch zurecht, wie ich finde. Denn selbstverständlich ist DB Regio für DB Netz genauso ein Kunde wie beispielsweise die Westfalenbahn, die Eurobahn oder National-Express. Was wird aber dringend brauchen ist eine Eisenbahnpolitik, die alle Branchenakteure berücksichtigt, nicht nur den DB-Konzern.

Siehe auch: BAG-SPNV: Teilnehmerrekord bei Fachtagung

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